Dokumentiert: Parlamentspräsident Martin Schulz zur Verleihung des Friedenspreises an Jaron Lanier



Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, hat anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Jaron Lanier eine beachtenswerte Laudatio gehalten. Der Text wird hier mit freundlicher Genehmigung von Martin Schulz dokumentiert. Die Rede ist beachtenswert, weil sie sich kritisch mit der Kultur des Silicon Valley und der Digitalisierung auseinandersetzt und dabei gleichzeitig konstruktive Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft aufzeigt. Schulz fordert einen klaren Regelungsrahmen für das Netz. Damit bekräftigt er einmal mehr seine Meinungsführerschaft in Sachen Digitalisierung innerhalb der europäischen Sozialdemokratie. Es ist ein Plädoyer für digitalen Humanismus.

(Zur besseren Lesbarkeit dieses Textes habe ich Zwischenzeilen eingefügt. Sie stammen nicht von Martin Schulz.)

VON MARTIN SCHULZ

Sehr geehrter Herr Riethmüller,
verehrter Herr Oberbürgermeister Feldmann,
lieber Jaron Lanier,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

wir befinden uns an der Schwelle zum digitalen Zeitalter, in einer Zeitenwende, die das lange 19. und das kurze 20. Jahrhundert hinter sich lässt. Inmitten eines Prozesses, der die sozialen Beziehungen, unsere Art des Wirtschaftens, die konstitutive Verfasstheit, unsere Werte, unsere Kultur in Frage stellt. Wir befinden uns also inmitten eines Prozesses, der die Gesellschaften auf der ganzen Welt in einer Totalität herausfordert, wie dies zuletzt geschah, als die industrielle Revolution mit Macht das Gesicht der Welt rasant verändert hat.

Die Analyse und Bewertung der Digitalisierung hat gerade in jüngster Zeit eine Fülle von Texten und Büchern hervorgebracht. In ihnen geht es um die Chancen, die sich durch diese technologische Revolution eröffnen: um mehr Transparenz und Partizipationsmöglichkeiten, um den vereinfachten Zugang zu Wissen, um wirkungsvollere Medizin, bessere Dienstleistungen, effizientere Abläufe und vieles andere mehr. In ihnen geht es aber auch um die Risiken dieses Wandels.

Ein kenntnisreicher Oppositioneller

Kaum jemand hat die Gefahren und Risiken grundsätzlicher benannt als Jaron Lanier. Seine Kritik ist nicht kulturpessimistisch, schon gar nicht technologiefeindlich, sondern er mahnt aus der Position eines kenntnisreichen, zur Sache selbst aber loyalen Oppositionellen. Dadurch sind seine Überlegungen, die er in Büchern, Artikeln, Vorträgen und Interviews vorgelegt hat, besonders erhellend. Und deshalb wird er heute zu Recht mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Viel ist über ihn geschrieben worden. Er wurde als Internet-Pionier, Vordenker, Visionär und Aufklärer betitelt. Zum Beispiel so: „Jaron Lanier ist einer der Cyber-Gurus Amerikas und Protagonisten jener neuen Intellektuellenszene, von der Europa noch kaum eine Ahnung hat und doch endlich haben müsste, um aus dem Schlaf des alten Jahrhunderts aufzuwachen.“ Ein kluger Satz, formuliert von einem Mann, der selbst ein großer Visionär und Humanist war und dessen tragischen und viel zu frühen Tod wir vor wenigen Wochen hier in der Paulskirche betrauert haben: Frank Schirrmacher.

Schirrmacher hat diesen Satz, mit dem er uns in Europa aufrütteln wollte, – gerne hätte ich Sie raten lassen – im Jahr 2000, also bereits vor 14 Jahren geschrieben. Es hat also ein bisschen gedauert, bis die Debatte über die Chancen und Risiken des Internets, die bereits seit mehreren Dekaden in Kalifornien geführt wird, auch mit großer Wucht auf dem „alten Kontinent“ angekommen ist. Nun diskutieren wir ebenfalls engagiert und dabei können wir auf viel Vor-Gedachtes zurückgreifen. Auch auf viel, was Jaron Lanier gedacht und geschrieben hat.

Schillerndes Beispiel für Patchwork-Identität

Unser heutiger Preisträger hat eine Vielzahl beeindruckender Begabungen. Er ist Literat, Musiker, Wissenschaftler, Unternehmer, Lehrer, Aktivist und Erfinder. Seine Biographie ist ein schillerndes Beispiel für eine Patchwork-Identität, die nur auf den ersten Blick postmodern anmutet, die mich vielmehr an das Humboldt´sche Bildungsideal erinnert. Denn mit der Vielzahl an Talenten, an denen uns Lanier teilhaben lässt, knüpft er an ein älteres, über Jahrhunderte propagiertes Gelehrten-Dasein an, als Gelehrte noch Philosophen, Architekten, Astrologen, Maler und Mediziner in einem waren und sich nicht davor scheuten, auch gesellschaftspolitische Fragen zu diskutieren.

Laniers Biographie ist europäisch geprägt. Er selbst wird zwar im Mai 1960 in New York geboren, seine Mutter wächst aber in Europa auf und auch sein Vater hat europäische Wurzeln. Seine Familie hat unter der Verfolgung gegen Juden zu leiden, seine Mutter überlebt den schlimmsten Zivilisationsbruch der Menschheitsgeschichte, den Holocaust, sie überlebt Krieg und Flucht und bricht dann in eine neue, in eine bessere Welt jenseits des Atlantiks auf.

Heute verteidigt der Sohn dieser Eltern die Einzigartigkeit des Menschen im digitalen Zeitalter mit großer Vehemenz. Damit steht er in einer großen humanistischen Tradition. Lanier warnt davor, Computer und Netzwerke über das Menschliche zu stellen, den Menschen also klein zu machen, „die Maßstäbe zu senken, damit die Informationstechnologie scheinbar gut dasteht“, wie er schreibt.

Den Menschen nicht zum Objekt degradieren

Lanier fordert uns auf, als freie, selbstbestimmte, motivierte und kreative Individuen an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Damit führt uns der Amerikaner mit europäischen Wurzeln zu unserer eigenen Gedankentradition zurück und erinnert uns an die besten Fähigkeiten, die wir in uns haben. Er erinnert uns daran, dass der Mensch niemals zum Objekt degradiert werden darf, für keine Idee oder Ideologie, egal was ihr Ziel sein mag.

Lanier beschreibt eindrücklich, wie bei manchem im Silicon Valley der Glaube an eine smarte Internet-Welt immer mehr zu einer Ideologie, ja schließlich sogar zu einer neuen Religion wird. Der Google-Gründer Larry Page hat einmal davon gesprochen, dass die „menschliche Programmierung“, wie er das nannte, weniger Bytes habe, als ein einfaches Computer-Betriebssystem. Wenn Menschen aber nur die Summe ihrer Daten wären – also eine Ansammlung ihrer Bio-Daten und wo sie sich jemals aufgehalten, was sie je gelesen, gesehen, gehört oder gesagt haben – dann könnte man diesen Informations-Menschen in Gänze abspeichern. In dieser Logik würde unser digitaler Zwilling tatsächlich die Unsterblichkeit erreichen können. Zitat Lanier: „Wer von der alten Religion, in der man auf ein von Gott geschenktes Leben nach dem Tod hoffte, zur neuen Religion hinüberwechselt, in der man hofft, unsterblich zu werden, in dem man sich in einen Computer laden lässt, der muss glauben, dass Informationen etwas Reales und Lebendiges sei.“ Und in der Konsequenz: „Der Mensch nimmt innerhalb [dieser Welt] keine besondere Stellung ein.“

Höheres Bewusstsein des Netzes?

Viele, die so denken, unterstellen dem globalen Netz ein eigenes, ein höheres Bewusstsein, das über dem Bewusstsein der Menschen steht. Sie glauben, das digitale Bewusstsein sei vernünftiger als wir und wisse besser, was für uns Menschen gut ist. Im Kleinen bedeutet das zunächst nur, dass Textverarbeitungsprogramme – ohne dass wir das wollen – unsere geschriebenen Texte korrigieren, und schon bald, dass unsere Kühlschränke automatisch befüllt werden oder dass wir Waren zugestellt bekommen, von denen wir gar nicht wussten, dass wir sie überhaupt kaufen wollten. Später dann sanktioniert uns ein Algorithmus durch höhere Krankenkassenbeiträge oder durch das soziale Aus, wenn wir uns weigern, unseren Körper zu verkabeln, wenn wir nicht unsere täglichen Fitness-Übungen machen oder wir in die falschen Länder in Urlaub fahren.

Gemäß dieser Denkart ist es gut, dass uns das Netz viele Entscheidungen abnimmt, da es rund um die Uhr für uns sorgt, sich sogar um unsere sozialen Beziehungen kümmert. Das Netz wird so zu einer fürsorglichen Mutter, zum wachsamen und strengen Vater. Willkommen in einer schönen, neuen Welt!

Um Missverständnisse zu vermeiden: ich wende mich nicht gegen digitale Technologien. Im Gegenteil: Immer, wenn wir das Leben für viele Menschen besser machen können, bin ich für jede Innovation. Aber der Glaube, dass wir nur die Summe unserer Daten sind, reduziert und entwürdigt Menschen und verkennt überdies, wer der Schöpfer von Kultur ist. Denn es sind die Schriftstellerinnen, Musiker, Filmemacherinnen, Ingenieure, Journalisten und andere Kreative, die die Inhalte erdenken, die sich im Netz finden. Kurz: Es sind Menschen, die das Alles schaffen und die dem Geschaffenen erst Sinn verleihen. Deshalb ist es auch nicht hinnehmbar, dass nur einige Wenige mit diesen kulturellen Leistungen Milliardengewinne machen, während mancher Urheber eines Werkes leer ausgeht. Eine schöpferische Leistung sollte wertgeschätzt werden und wir sollten nicht dem Mythos erliegen, als gäbe es irgendetwas umsonst im Netz.

Kulturelle Leistung muss Preis und Wert haben

Denn am Ende müssen wir doch bezahlen. Lanier schreibt: „Wenn Musik nichts kostet, dann wird eben die Handyrechnung teuer, so verrückt das auch ist.“ Und weiter: „Da das Web die alten Medien vernichtet, stehen wir vor einer Situation, in der die Kultur tatsächlich ihr eigenes Saatgut aufzehrt.“ Kulturelle Leistung, meine Damen und Herren, soll und muss aber ihren Wert und auch ihren Preis haben und – lassen Sie mich das als gelernter Buchhändler einschieben: so mancher arrogante Einwand gegen die Buchpreisbindung in Deutschland ärgert mich massiv.

Alles, was wir im Netz vermeintlich kostenlos bekommen, bezahlen wir mindestens mit unseren Daten, die von globalen Internet-Giganten mit Riesen-Servern gierig aufgesaugt werden. Das ist nicht irgendwas. Denn Daten werden zukünftig eine der wichtigsten Ressourcen sein und digitale Standards werden zur maßgeblichen Infrastruktur. Deshalb: unsere Daten gehören nicht in die Hände von nur einigen Wenigen. Denn entgegen allen positiven Möglichkeiten, die Big Data bieten kann, wird gleichzeitig durch diese Datensammel-Wut die Überwachung und Kontrolle von Menschen immer leichter.

Wissen ist bekanntlich Macht und wer weiß, was wir kaufen, wo wir uns befinden, mit wem wir befreundet sind und was unsere geheimsten Wünsche und Träume sind, der weiß zu viel über uns. Denn das sind Dinge, die wir nur unserem Allernächsten anvertrauen, jemandem, der unser intimster Freund ist. Deshalb bleibe ich dabei, dass das Sammeln und die Kontrolle unserer gesamten Daten in freiheitlichen und selbstbestimmten Gesellschaften systemwidrig ist. In aller Klarheit: Nicht alles, was technisch möglich ist, darf erlaubt sein. Nicht alles, was effizienter ist, ist besser. Die Moral der Machbarkeit entspricht nicht unserer Ethik.

Vielfalt ist ein Wert an sich

Lassen Sie mich bitte einen Einschub in einer aktuellen Debatte machen, weil sie viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller und den Buchmarkt als solchen betrifft: Vielfalt ist ein Wert an sich! Wenn einzelne Internet-Plattformen, die in der analogen Welt noch Kaufhäuser, Geschäfte oder Märkte hießen, eine Größe erreichen, durch die sie den Preis, das Einkommen von Künstlern, die Bestsellerlisten, das Format der Veröffentlichungen, das Datum der Auslieferung und anderes maßgeblich bestimmen können, dann gibt es keine Vielfalt mehr, sondern beherrschende Monopole. Das goldene Kalb der Effizienz und des immer billigeren Preises setzt dann die Pluralität, für die wir uns in unserer Wirtschaftsordnung entschieden hatten, außer Kraft. Das ist inakzeptabel und deshalb teile ich die Befürchtungen, die weltweit nicht nur von Schriftstellern gegen solche machtbewussten Monopolisten artikuliert worden ist.

Wer so grundsätzlich kritisiert, wie Lanier es tut, dem geht es nicht um kleinteiliges Nachjustieren an der einen oder anderen Stelle. Wer solche Einwürfe macht, der formuliert eine Fundamentalkritik, die ausschließt, dass diese Fehlentwicklungen, die vielfach bereits eingetreten oder absehbar sind, durch rein technische Ingenieurleistungen behoben werden können. Es gibt eben keine einfache Lösung, durch das schnelle Herunterladen einer neuen, smarten App, auch wenn so mancher das mittlerweile zu glauben scheint.

Besser machen, als es heute ist

Aber Vorsicht: Lanier folgt keinem simplen Gut-Böse-Schema. Seine Kritik bringt er als jemand vor, der diese neue Welt mit-initiiert, der sie mit Freude vorangetrieben und vielfach selbst programmiert hat. Lanier ist ein digital native, er reflektiert mit seiner Kritik auch seine eigene Arbeit und benennt Stellen, an denen etwas schief gelaufen ist. Wer also meint, Lanier hätte sich frustriert abgewendet von der digitalen Welt, der irrt gewaltig. Nein, er ist mittendrin im Diskurs, verfolgt dabei aber einen hohen moralischen Ansatz, es besser zu machen, als es heute ist. In seinem Buch „Wem gehört die Zukunft“ schreibt er: „Ich erhoffe mir für die Zukunft, dass sie auf radikale Art wunderbarer sein wird, als wir sie uns jetzt vorstellen können, bewohnt von Menschen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.“ Und weiter: „[Uns] ging es darum, unsere Welt kreativer, ausdrucksstärker, einfühlsamer und interessanter zu machen. Aber nicht darum, aus unserer Welt zu fliehen.“

Wenn wir unser Schicksal also wieder selbst in die Hand nehmen wollen und das Internet zu dem Ort zu machen, von dem Viele und nicht nur die Wenigen profitieren, dann werden wir uns einiger Anstrengung unterziehen müssen.

Regeln für die digitale Welt

Dafür brauchen wir Regeln für diese digitale Welt. Regeln, die sich an unseren Wertevorstellungen orientieren. Wir brauchen eine Charta der digitalen Grundrechte, die angesichts der neuen technischen Möglichkeiten festlegt, was erlaubt und was verboten ist. Denn es gibt eine Grenze, was Unternehmen, aber auch was der Staat über Menschen wissen darf. Genauso wie wir einen gesellschaftlichen Diskurs über das Klonen, über Sterbehilfe, über Krieg und Frieden und über die Zusammensetzung unserer Lebensmittel führen, müssen wir besprechen, in welcher digitalen Welt wir im 21. Jahrhundert leben wollen. Wir müssen diskutieren, was uns als Gesellschaft wichtig ist. Nach der Party kommt nun die Phase des Aufräumens, nach dem Tohuwabohu muss der Zustand der weitgehenden Regellosigkeit beendet werden.

Wie aber kann ein anderes, ein humanes Netz aussehen? Zunächst sollten wir die Perspektive ändern: Denn es geht nicht darum, wie „das Netz“ aussieht. Ein Netz kann niemals human sein, auch wenn Ingenieure immer besser darin werden, ein „Netz-Bewusstsein“ zu simulieren. Das Netz ist kein Subjekt sondern eine im Idealfall für eine große Anzahl von Menschen nützliche Infrastruktur, die viel Gutes bewirken und die Spaß machen kann.

Das Netz nicht allein den Experten überlassen

Wir müssen uns auch von der Wahrnehmung verabschieden, dass es eine Trennung zwischen analoger und digitaler Welt gibt. Das war einmal. Wir haben nur diese eine Welt und für die müssen wir ein friedliches Zusammenleben organisieren. Bei fast allen sogenannten Netz-Fragen geht es im Wesentlichen um gesellschaftspolitische Fragen, die wir schon in der analogen Welt kannten. Deshalb ist es nicht entscheidend, was Netzpolitiker oder Netzaktivisten sagen, sondern auch derjenige, der kein digital native ist, hat ein Mitspracherecht in dieser Diskussion. Denn wenn wir diese Fragen allein den technischen Experten, den Programmierern und Nerds überließen, lebten wir in einem selbstreferentiellen System, es käme zur Herrschaft der Ingenieure und Mathematiker, zu einer Expertenregierung im Platon´schen Sinne. Das wäre dann sicher keine Demokratie mehr.

Dass es bei dem notwendigen Reglungsbedarf nicht nur den einen richtigen Weg gibt, ist klar. Aber vielleicht können wir als Europäer einige Anregungen und Erfahrungen einbringen, die für den nächsten Innovationsschub im Netz wichtig sind. Momentan dominieren die Standards der US-amerikanischen und zunehmend auch der asiatischen Unternehmen. Aber dies muss nicht so bleiben. Denn es sind andere Standards denkbar, von denen ich einige nennen möchte:

• Es sind Standards denkbar, bei denen die kreativen Leistungen und die Arbeit von Menschen honoriert und nicht einfach als kostenlose Verfügungsmasse ausgenutzt werden.
• Es sind Standards denkbar, in denen die Privatsphäre geachtet wird. Es müssen nicht alle Begriffe, die ich je im Internet gesucht habe, abgespeichert werden.
• Es sind Standards denkbar, bei denen Daten sicher sind. Ich will nicht, dass jemand meine Post liest, meine Musikdateien und meine Bücher kennt und meine Urlaubsfotos nach Verwertbarem durchsucht und auf dieser Grundlage ein Persönlichkeitsprofil erstellt.
• Es sind Standards denkbar, bei denen Irrtümer verziehen und vergessen werden.
• Es sind Standards denkbar, die das Phänomen der Internet-Ökonomie „The winner takes it all“ kritisch hinterfragen. Denn eine zu große Machtkonstellation steht im Widerspruch zu Wettbewerb und Pluralität.

Gütesiegel und Zertifikate

Um diese neuen Standards zu etablieren, können wir Instrumente nutzen, mit denen wir in der Vergangenheit gute Erfahrung gemacht haben. Juli Zeh regt beispielsweise an, dass wir Güte-Siegel entwickeln, die Qualitäts-Standards zertifizieren, wie wir das bereits beim Lebensmittelschutz, beim TÜV und in anderen Bereichen kennen. Wir können eine Technikfolgeabschätzung institutionalisieren und einen Ethikrat berufen, der die laufenden technischen Innovationen begleitet. Wir können Urheberrecht, Daten- und Verbraucherschutzgesetze und das Kartellrecht modernisieren und sie in einem weltweit neu zu schaffenden Handelsrecht absichern. Wir können etwas tun und wir sollten jetzt damit beginnen.

Ich möchte in einer demokratischen Gesellschaft leben. In einer digitalen, demokratischen Gesellschaft. Denn ist es ein Irrglaube, dass man sich der Digitalisierung entziehen kann, weil die soziale Zugehörigkeit und die Möglichkeit zur Partizipation in der Gesellschaft immer mehr davon abhängen, dass man sich souverän im Netz bewegen kann. Und weil das so ist, dürfen wir die Verantwortung nicht an den Einzelnen delegieren, etwa in dem wir sagen: “Du musst ja nicht mitmachen, bleib doch analog!” Nein, wir müssen in unseren Bildungscurricula auf die Veränderungen reagieren, damit unsere Kinder die Vorteile des digitalen Zeitalters genießen können und nicht schutzlos in die Welt entlassen werden.

Nicht mitzumachen muss möglich bleiben

Aber auch in dieser neuen Welt muss es möglich bleiben, dass Einzelne nicht alles mitmachen müssen, selbst wenn eine große Mehrheit das anders handhabt. Selbst dann, wenn Viele mit großer Begeisterung alle ihre Daten offenlegen, selbst wenn sie sich am ganzen Körper verkabeln und freiwillig ihre Bio-Daten in einer Cloud speichern – auch dann darf für die Minderheit kein Schaden entstehen, wenn sie sich entziehen will. Minderheitenschutz gilt analog wie digital!

Heute erhält Jaron Lanier einen bedeutenden Friedenspreis. Er bekommt diesen Preis zu Recht und er bekommt ihn auch stellvertretend für alle, die diese wichtige Debatte über die digitale Zukunft führen. Damit lädt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels noch mehr Menschen zu dieser Diskussion ein, auch wenn sie keine Experten sind. Denn der Aushandlungsprozess, in dem wir uns derzeit befinden, die Frage also, welche digitale Vision sich im 21. Jahrhundert durchsetzen wird, ist eine Frage des Friedens. Sie betrifft uns alle. Sie entscheidet über unsere zukünftige Freiheit, über Gerechtigkeit und ob wir in einer humanen, solidarischen, pluralistischen und kreativen Welt leben werden.

„Ein eminent politischer Preis“

Frank Schirrmacher hat nach Bekanntgabe des diesjährigen Preisträgers gesagt, dass Jaron Lanier heute einen „eminent politischen Preis“ erhält. Damit hatte er – wie so oft – Recht und ich möchte hinzufügen: Dank an den Börsenverein für diese mutige, eminent politische Entscheidung. Gut, dass Sie diese Entscheidung getroffen haben. Gut, dass Jaron Lanier heute diesen Preis erhält.

Ich gratuliere dem Preisträger, ich gratuliere Ihnen lieber Jaron Lanier.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Comments are closed.