Laudatio von Gabor Steingart zum Wirtschaftsbuchpreis: „Eine Art Mao-Bibel für das Digitalzeitalter“



In seiner Laudatio bei der Gala zur Verleihung des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises am 21. Oktober 2016 in Frankfurt würdigte Gabor Steingart, Herausgeber des Handelsblatts, mein Buch „Silicon Germany – Wie wir die digitale Transformation schaffen“ (Knaus). Der Text der Rede wird hier dokumentiert.

Das Original der Rede steht auf der Webseite des Handelsblatts.

Das Buch gibt es beispielsweise bei Amazon oder Buch.de.

VON GABOR STEINGART

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde unserer Zeitung und des Morning Briefings,
liebe Mitglieder der Jury,
sehr verehrte Autorinnen und Autoren,
liebe Verlegerinnen und Verleger,

die Jury hat es sich nicht leicht gemacht. Ich weiß: Das sagen alle Juroren immer. Aber diese Jury hat es sich nicht nur nicht leicht, sondern sie hat es sich extra schwer gemacht. Und das lag nicht an den Autoren. Sondern an der Jury selbst. Genauer gesagt an Ann-Kristin Achleitner.

Denn die hat vor vier Jahren darauf hingewiesen, dass wir im Zeitalter der Globalisierung leben und dass die Gedanken frei seien – aber nicht die Jury. Denn die durfte beim deutschen Wirtschaftsbuchpreis nur deutsche Autoren lesen und bewerten. Es galten gewissermaßen die gleichen Spielregeln wie bei der ZDF Hitparade unter Dieter Thomas Heck. Das deutsche Lied- bzw. Gedankengut war zu befördern.

Um es kurz zu machen: Die ZDF Hitparade gibt es nicht mehr, Dieter Thomas Heck ist Rentner und damit uns das nicht passiert, dürfen seit dieser denkwürdigen Sitzung Gedanken und Autoren und Bücher und Verlage aus aller Welt vorgelegt werden. Original oder Übersetzung? Das interessiert uns nicht mehr.

Seither hat es die Jury schwer und die deutschen Autoren haben es auch schwer. Denn jetzt konkurrieren sie gegen Nobelpreis-Gewinner, MIT-Experten, Harvard-Absolventen und Sachbuch-Könige aller Herren Länder. Seit dieser Regel hat denn auch – das war der Fluch der guten Tat – kein deutscher Autor, keine deutsche Autorin mehr den Preis gewonnen. Tomas Sedlacek 2013, Michael Lewis 2014 und letztes Jahr die beiden Forscher Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee.

Umso bemerkenswerter ist das, was ich Ihnen jetzt zu verkünden habe. Das Deutsche im deutschen Wirtschaftssachbuch ist zurück, aus eigener Kraft hat es sich den Sieg erkämpft. To make Germany great again. Um es mit einem berühmten amerikanischen Poltergeist zu sagen, dessen Memoiren wir im nächsten Frühjahr erwarten. Möglicher Titel: Ansichten eines Clowns.

Womit wir jetzt schnurgerade bei unserem diesjährigen Preisträger gelandet wären. Denn der ist gewissermaßen ein Experte im Enttarnen von Clownerien. Sein Thema ist die deutsche Wirtschaft, in der neuerdings alle hip und cool sein wollen, also digital und disruptiv unterwegs sind. Future labs an jeder Ecke, Pendeltourismus ins Silicon Valley, all you can steal. Schlipslos präsentieren sich die CEOs als Internet-Gurus, als kleine Brüder von Zuckerberg, Page und Jobs.

Doch die Schminke trägt nicht. Das Lachen täuscht. Dahinter sieht es traurig aus, sagt unser Preisträger. Der Mann kennt sich aus – im Netz und im wahren Leben.

Dein Buch „Silicon Germany“ – dieser erschütternde Insider-Report über den digitalen Selbstbetrug unseres Landes – ist das Deutsche Wirtschaftsbuch des Jahres 2016. Herzlichen Glückwunsch, Christoph Keese.

Der Autor hat keine Mühe gescheut. Er war nicht nur auf den Chefetagen unterwegs, sondern er nimmt uns mit auf eine abenteuerliche Reise von Mountain View über Palo Alto bis in die Berliner Gründerszene und schließlich landen wir in seinem eigenen Vorgarten.

Zitat: „Tagelang rutsche ich auf Knien durch den Garten und verlege Begrenzungsdrähte für meinen vollautomatischen Rasenmäher von Bosch. Ich habe mir den neuesten Schrei des schwäbischen Weltkonzerns zugelegt, ein Gerät, von dem Bosch behauptet, es könne ohne menschliches Zutun mähen und per App von unterwegs gesteuert werden. Leider stimmt das nicht. Der ‚Indego Connect‘, erstanden für 1200 Euro, liefert ein anschauliches Muster für das Unvermögen der deutschen Industrie. Willkommen im Land des digitalen Defizits.“

Der Mähroboter landet im Keller und Christoph Keese mäht wieder selbst. Zurück zu Sense und Gräserzupfen. Industrie 0.4.

Man kann das Buch also getrost als Enthüllungsbuch lesen, denn es enthüllt, das hinter den wohlfeilen Ankündigungen der großen Vorstandschefs oft nur das steht: Rhetorik. Nirgendwo, weder bei Daimler noch bei Siemens und schon gar nicht bei VW stößt der Autor auf eine Wirklichkeit, die real genug wäre, dem Tempo und der Intensität der weltweiten Revolution zu entsprechen. Die Kaiser der Großindustrie sind nicht nackt, aber sie sind leichter bekleidet als sie uns glauben machen wollen. Oder wie Keese schreibt: „Ihre meisterliche Beherrschung von Abläufen und Prozessen hat die alte Leidenschaft verschüttet.“

In jedem guten Buch stecken mindestens zwei Bücher. So auch hier. Keese ist eben kein Mitarbeiter der Apokalypse-Industrie, sondern er will hilfreich sein. Er sagt nicht nur, was schief läuft, sondern wir begegnen Dutzenden von Menschen und Firmen, die uns unterrichten in dem, was zu tun ist.

Das Buch ist daher auch eine Art Mao-Bibel für das Digitalzeitalter. Der Autor gibt uns Lern- und Merksätze an die Hand, die für den langen Marsch in die digitale Transformation von existenzieller Bedeutung sind.

Zitate:

„Du musst die Schmerzen des Wandels zulassen und aushalten.“

„Nur Höchstleistungen berechtigen zum Bleiben. Wer nicht zu den Besten gehört, muss gehen.“

„Die Führungskraft der Zukunft kennt nicht die Lösung, sondern organisiert den Prozess, der zum Finden der Lösung führt.“

„Keinen Plan zu haben ist der Plan.“

„Zwischen Ende 20 und Ende 30. Das ist der Höhepunkt der Kreativität.“

„Sie müssen Ihr eigener Kannibale sein.“

Kurz und gut: Dieses Buch ist für jeden Unternehmer eine lebensrettende Maßnahme. Denn hier erfährt er anschaulich und klar, was zu tun ist.

Alles ist der Wirklichkeit abgelauscht. Denn der Autor kennt sein Thema nicht nur, sondern er lebt es. Er ist Teil der Transformation, die die Welt erfasst hat. Er war im Silicon Valley. Monatelang. Er hat als erster Chefredakteur das Motto online first ausgegeben, er ist bei Springer dabei, wenn disruptive Geschäftsmodelle gekauft und integriert werden.

Und: Er ist bei alledem kein digitaler Fanatiker geworden, keiner, der die Heilsleere von Umsonst-Kultur und freiem Datenhandel verbreitet. Im Gegenteil: Keese weiß, dass es nicht nur um algorithmisch gesteuerte Maschinen geht, sondern um den Versuch, Macht und Wohlstand auf der Welt neu zu verteilen. Und dass dieser Angriff auf die deutschen Firmen, ihre Geschäftsmodelle und Produkte nicht von Putin, Erdogan oder den Chinesen vorbereitet wird, sondern von unseren amerikanischen Freunden.

Von eben jenen Profitmaschinen des Silicon Valley, die vollgepumpt mit den Milliarden der Börse und angefixt von ihren sensationellen Anfangserfolgen, glauben, dass ihnen nun die Welt gehört. Und wenn schon nicht die ganze, dann zumindest die Welt der Medien, des Handels, der Automobilität.

Das Silicon Valley gibt sich dem Triumphalismus hin. Und schreibt sich seine Regeln selbst. Sagt Keese. Was für die ARD verboten ist, gilt nicht für YouTube. Sind unsere Zeitungen zu Wahrheit und Ausgewogenheit, zum Schutz der nicht prominenten Persönlichkeit verpflichtet und die Leugnung des Holocaust ist ein Straftatbestand, gilt nichts davon für Facebook und Twitter. Hier darf gemobbt, gelogen, verfälscht werden, ohne das ein Staatsanwalt aktiv würde.

Mit dieser sehr amerikanischen Mischung aus Erfindergeist, Marketinggenie und Schamlosigkeit haben es die US-Firmen weit gebracht. Unser tapferer Autor betreibt seit Jahren eine Klage gegen Google, der sich die Verlagsgruppe Handelsblatt lustvoll angeschlossen hat. Es geht um die geistigen Urheberrechte unserer Journalisten und es geht um die Datenschätze unserer Leser, wobei wir eben meinen: Die Rechte gehören den Journalisten und die Daten den Lesern. Keese ist der Robin Hood, der sich auf die Lauer gelegt hat. Da liege ich nun – ich mit ihm – im grünen Tarnrock und wir warten auf die große Schlacht, die nach Lage der Dinge im Gerichtssaal und nicht im Sherwood Forest ausgefochten wird. Uns beide verbindet vieles, aber eben auch der Satz: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.

So steckt also noch ein drittes Buch in dem einen, ein politisches Buch nämlich, das nicht naiv auf diese neue schöne Welt guckt. Keese fordert Gegenwehr – auch in Gestalt eines digitalen Ministeriums.

Gerade auch dieser politische, bürgerrechtliche Aspekt hat die Jury nicht abgehalten, sondern im Gegenteil befeuert. Wir wollen ja gerade Autoren fördern, die Wirtschaft nicht akademisch und nicht abstrakt, sondern verstehbar, greifbar, fühlbar machen. Dieser Autor lebt im Grunde das Leben einer Dreifaltigkeit: Er ist Autor, Akteur und Aktivist.

Wir fassen zusammen: Dieses Buch ist eine große Warntafel. Bis hier und nicht weiter. Keese sagt, was passiert, wenn nichts passiert. Deutschlands Familienunternehmer werden bei Madame Tussauds enden. Schön anzusehen, aber leblos.

Deutschlands Großkonzerne werden auf dem Friedhof der Dinosaurier ihre letzte Ruhe finden, da wo schon andere liegen.

Deutschland und damit auch Europa würde abgehängt, wie man auf dem Rangierbahnhof den letzten Wagen abhängt.

Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter hat die schöpferische Zerstörung durch den ideenreichen Unternehmer als zentralen Vorgang des Kapitalismus beschrieben. Der Ökonom sprach „vom Geschrei der Zermalmten, über die die Räder des Neuen gehen.“

Keese geht ähnlich gnadenlos zur Sache. Das Festmahl der Disruption findet auf jeden Fall statt, schreibt er. Offen ist nur, ob Sie mit am Tisch sitzen oder nur den Braten abgeben.

Foto: Markus Kirchgessner

 

3 Kommentare

 
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