Über das Bohren möglichst dicker Bretter. Betriebsanleitung für das Silicon Valley (2)



Hier verbrachte ein bekannter Gründer seine Kindheit. Wer das Haus nicht erkennt: Auflösung unten.

In der zweiten Folge der Serie über das Silicon Valley geht es um das Gründen von Unternehmen und um ihre Gründer. Zehn Thesen mit kurzen Erläuterungen:

(Fortsetzung des ersten Teils der Serie)

These 1: Techniker geben den Ton an, Betriebswirte folgen ihnen

Deutschlands Gründerszene wird von Kaufleuten dominiert. Nicht durch Zufall wählen sie oft kaufmännische Themen für ihre Startups, vor allem E-Commerce-Modelle. Im Silicon Valley hingegen haben die meisten Gründer eine Ausbildung als Ingenieure oder Programmierer. Besteht ein Team aus zwei Co-Founder, kommen meist beide aus der Technik, gibt es drei, schafft es hin und wieder ein Betriebswirt in die Gründerriege. Oft genug aber sind es sogar drei Techniker. Nach deutschen Maßstäben wirken kalifornische Startups wie entwischte Entwicklungslabors, die ohne Beaufsichtung von Erwachsenen (vulgo: Kaufleuten) ihren Hobbys nachgehen. Man denkt, das führt zu Katastrophen. Doch je weiter die Kaufleute in der Startphase weg sind, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit auf einen Welterfolg.

These 2: Die Augen funkeln und die Leidenschaft blüht

Catalin Voss, deutschstämmiger Computer Science-Student an der Stanford University und Gründer der Realtime-Bildanalyse-Firma Sension. Alter: 18 Jahre.

Man hört im Silicon Valley nie den Spruch: „Ich wollte reich werden. Daraufhin habe ich mir das passende Thema gesucht.“ Fast immer geht die Geschichte anders herum: „Ich konnte meine Finger einfach nicht von dieser Sache lassen. Immer, wenn ich den Computer aufklappte, um etwas anderes zu erledigen, erwischte ich mich dabei, wie ich wieder an diesem Problem herum programmierte. Irgendwann hatte ich es dann gelöst.“ Niemand hat im Silicon Valley etwas dagegen, eich zu werden. Aber erst muss das Thema stimmen, erst dann wird das Geld interessant. Das gilt besonders, wenn die Firma wächst. Viele Gründer berichten übereinstimmend, dass ihre Teams auseinander gehen, wenn sie nicht das Gefühl bekommen, an etwas Besonderem mitzuwirken. „Die Leute haben drei Prioritäten”, berichtet ein Venture Capitalist: „Erstens: Sie wollen an einem Thema arbeiten, das sie leidenschaftlich begeistert. Zweitens: Sie wollen mit Leuten zusammen arbeiten, zu denen sie fachlich und menschlich aufschauen können. Erst an dritter Stelle kommt das Geld.“

These 3: Gebohrt wird das dickste Brett

Wenn begabter Techniker etwas finden, das sie begeistert, handelt es sich fast immer um das dickste Brett, das sich gerade finden lässt. Silicon Valley-Startups knöpfen sich technische Probleme gigantischen Ausmaßes vor und lassen nicht locker, bis sie eine Lösung gefunden haben. Da die Techniker weltweit oft die besten ihres Fachs sind, folgt aus dieser Kombination von Faktoren häufig, das die weltweit beste und innovativste Lösung entsteht. Dies wiederum hat zur Folge, dass das Unternehmen dieser Gründer Märkte auf der ganzen Welt erobert. Absichtlich dicke Bretter zu bohren steht im Gegensatz zum Bemühen vieler Startups in Europa, kleine und überschaubare Zusatzlösungen in bereits bestehenden Wertschöpfungsketten zu liefern. Das schafft per Definition geringere Werte als der kalifornische Ansatz.

These 4: Kein Business Plan wird jemals wahr

Noch nie ist irgendein Geschäftsplan jemals Wirklichkeit geworden. Im Silicon Valley geht man mit dieser Erkenntnis so radikal um wie nirgendwo sonst. Weil Geschäftspläne weitgehend unnütz sind, werden sie dementsprechend weitgehend ignoriert. Nicht der Plan ist wichtig, sondern das Team, das sich eine Lücke in einem Markt frei boxen soll. Deswegen liegt fast das ganze Augenmerk auf dem Team statt auf dem Plan.

These 5: Auf den Charakter kommt es an

Weil der Geschäftsplan sowieso nicht wahr wird, kommt es darauf an, wie das Team charakterlich mit Frustration umgeht. Durchsetzen wird sich nur, wer die Fantasie, die Nervenstärke, die Kraft und die Flexibilität besitzt, den alten Plan zu verwerfen und komplett bei Null neu anzufangen. „Pivoting“ heißt dieser Wende-Vorgang. Alle Weltfirmen des Silicon Valley haben mehrfach einen „Pivot“ durchlebt. Dass ihre europäischen Welttbewerber es nicht so weit gebracht haben, liegt meist mit daran, dass sie sich zu lange am alten Plan festgeklammert haben. Pläne, lernt man im Silicon Valley, verhüllen den wahren Charakter und geben trügerische Sicherheit. Wirklich stark ist man erst, wer man sich nicht mehr hinter Plänen verstecken muss.

These 6: Zu früh an Gewinn zu denken, kann schädlich sein

„Seid ihr schon profitabel?“ ist die Frage, die europäische Gründer wohl am häufigsten zu hören bekommen. „Wie viel Geld braucht ihr noch, um Weltmarktführer zu werden?“, fragt man die Gründer hingegen im Silicon Valley. Natürlich ist Profitabilität wichtig. Doch zu früh an den Gewinn zu denken, kann einen potentiellen Weltkonzern im unteren Mittelstand verenden lassen. Wachstum kostet Geld, und wenn man Wachstum nur aus dem Betriebsergebnis finanziert, hat man immer das Nachsehen gegen Konkurrenten mit tieferen Taschen. Europas Betriebswirte-Kultur zieht in globalen Märkten wie dem Internet allzu oft den Kürzeren gegenüber leidenschaftlich brennenden Technikern, die sich gut ausgestatteten Finanziers zusammen tun, um die Weltherrschaft zu erobern.

These 7: Business Angels haben einen entscheidenden Vorteil

Hat jemand das Zeug, ein guter Unternehmer zu werden? Das erkennt man nicht an seinem Businessplan (siehe oben). Man sieht es ex ante auch an keinem anderen formellen Kriterium. Oft lässt sich eine Ahnung davon nur erhaschen in einem flüchtigen Gesichtsausdruck beim Beantworten einer Frage, oder durch die Wortwahl eines Satzes, oder das Leuchten in den Augen, wenn die Sprache auf ein bestimmtes Thema kommt. Manchmal noch nicht einmal dadurch, sondern nur durch ein vages Gefühl des Investors – durch seine Intuition. Das ist der Grund, warum Business Angels in den vergangenen Jahren immer wichtiger und erfolgreicher geworden sind. Wenn ihre Intuition ihnen sagt: „Der ist es!“, dann stellen sie einen Scheck aus und schulden niemandem Rechenschaft. Schließlich ist es ihr privates Geld. Institutionelle Investoren können aufgrund solcher weichen Argumente nicht investieren. Sie brauchen harte, überprüfbare Fakten. Viele Gründer können solche Fakten noch nicht liefern. Deswegen sind sie darauf bedacht, die richtigen Angels zu finden.

These 8: Sechs Wochen sind eine Ewigkeit

Das Silcion Valley-Klischee besagt: Drei Monate sind eine lange Zeit. In Wahrheit mag soviel Zeit niemand mehr aufbringen. Kein Internet-Projekt, das nicht in sechs Wochen harter Arbeit zum ersten Prototypen gebracht werden kann. Da die Sommerferien an der Stanford University fast drei Monate dauern, ist es üblich, dass Studenten in den Ferien an zwei Startups arbeiten – einem eigenen und einem eines Freundes. Wer sich auf ein Startup konzentriert, schafft in den drei Monaten Sommerferien zwei Produktzyklen. Eine Zeitspanne, die in Europa verstreicht, um der IT-Abteilung einen Antrag auf Erstellung eines Pflichtenheftes zuzuleiten, wird in Kalifornien genutzt, um das ganze Projekt abzuschließen. Der viele Jahre zählende technische Vorsprung des Silicon Valley vor Europa wird Tag für Tag aufs neue verdient durch hartes Programmieren in Höchstgeschwindigkeit.

These 9: Zeit ist viel kostbarer, als man denkt

Finanzierungsrunden decken die Anlaufverluste meist für ein Jahr. Jede weitere Finanzierungsrunde verwässert der Anteile der Gründer. Jeder Arbeitstag, jede Stunde bringt die Gründer der nächsten Verwässerung näher. Sie können nie wieder soviel Geld verdienen wie bei dem Versuch, in einem Tag das zu leisten, was andere nicht in einer Woche schaffen. Deswegen ist Zeit im Silicon Valley noch kostbarer als anderswo. Der selbst auferlegte Zeitdruck beschleunigt die Arbeit. So gelingt es, Großkonzerne mit Innovationen zu schlagen, die eigentlich von diesen kommen müssten.

These 10: Teams brauchen viele Anteile und viel Freiheit

Europäische Investoren neigen dazu, maximale Kontrolle über ihre Beteiligungsunternehmen zu erlangen und möglichst wenige Anteile an die Teams abzugeben. Im Silicon Valley ist es umgekehrt: Investoren bestehen darauf, dass Gründer und ihre Leute erhebliche Anteile am Unternehmen besitzen – oft 20 Prozent allein für die Angestellten plus die jeweiligen Anteile der Gründer. Echte Anteile beflügeln die Motivation. Deswegen geht es immer um echte Aktien und fast nie um virtuelle Beteiligungsmodelle. Starke Kontrollrechte lehnen die meisten Investoren ab. Ihr Motto: „Entweder ist das Team gut – dann sollten wir dem Team nicht herein reden. Oder das Team ist schlecht – dann sollten wir gar nicht erst investieren.“

(wird fortgesetzt)

Auflösung: Elternhaus des Steve Jobs in Mountain View, Kalifornien.

 

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