Wie Google versuchte, den Deutschen Juristentag zu instrumentalisieren



Google ist dafür bekannt, die Wissenschaft durch Spenden, Finanzierung ganzer Lehrstühle und Auftragsarbeiten gefügig zu machen. Noch nie aber hat Google versucht, den Deutschen Juristentag gezielt für sich zu instrumentalisieren. Die Premiere für dieses Unterfangen lieferte der Konzern vergangene Woche ab.

Der Deutsche Juristentag ist eine ehrwürdige Institution. Er sieht sich selbst als „Parlament der Juristen“ und nimmt zu wichtigen Fragen der Rechtspolitik Stellung. Ein offizielles Delegiertensystem gibt es nicht. Wer Anwalt ist, darf teilnehmen, wer Mitglied ist, darf abstimmen. Was in Unterwanderungen und Abstimmschlachten münden könnte, fand auf dem Juristentag bislang immer akademisch-zivilisiert statt. Es galt als verpönt, Mehrheiten zu organisieren, Stimmvolk einzuladen oder Kampagnen zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil zu starten. Die wissenschaftliche Debatte stand im Vordergrund.

Umso mehr musste der Tweet verwundern, den Arnd Haller, Leiter der Rechtsabteilung von Google Deutschland, am 15. September 2014 verschickte – einen Tag vor dem Juristentag, der vom 16. bis zum 19. September in Hannover zusammen trat:

Warum rief Haller seine Kollegen dazu auf, zum Kongress nach Hannover zu reisen und „das Urheberrecht“ zu verbessern? Weil Google die ehrwürdige Versammlung nutzen wollte, um einen Beschluss gegen das Leistungsschutzrecht für Presseverlage und andere wichtige Rechte, die Google wirtschaftlich stören, herbei zu führen. Diese Aktion war von langer Hand vorbereitet. Alles, was Google noch brauchte, war eine Stimmenmehrheit in der Arbeitsgruppe Urheberrecht.

Da es weder ein Delegiertensystem noch Stimmkarten gibt, ist eine solche Mehrheit vergleichsweise einfach zu organisieren. Es stimmt ab, wer zufällig gerade im Raum ist. Was dieser kleine Kreis beschließt, geht dann per Pressemitteilung als offizielle Haltung der deutschen Juristenschaft in die Welt. In Ministerien und Politik werden diese Stellungnahmen gründlich gelesen. Gegen die vermeintlich abschließende Meinung der deutschen Juristenschaft lässt sich nur noch schwer argumentieren – auch wenn die tatsächliche Abstimmung vor Ort eigentlich nur den Zufällen und Fährnissen der Zusammensetzung des Raums in genau dem Moment der Abstimmung geschuldet ist.

Haller hatte saubere Vorarbeit geleistet. In der offiziellen Thesensammlung des Kongresses hatte er ein Papier veröffentlicht. Darin stellte er sich dem geneigten Fachpublikum als einfacher Anwalt vor. Einen Hinweis auf seinen Arbeitgeber Google machte er nicht:

Auch in seiner Vorstellung am Tag der Veranstaltung verschwieg Haller das Wort „Google“, wie mehrere Teilnehmer übereinstimmend berichten. Da ich selbst kein Anwalt bin, war ich persönlich nicht dabei. Falls diese Darstellung nicht stimmen sollte, freue ich mich über einen Hinweis und werde ihn nachträglich in diesen Text einbauen.

Inhaltlich forderte Haller etwas nebulös die Ausrichtung des Urheberrechts an „volkswirtschaftlichen Erwägungen“. Er schreibt in seinem Thesenpapier:

Das UrhR sollte sich stärker als bisher an volkswirtschaftlichen Erwägungen orientieren. Bei der Auslegung oder der Änderung bestehender Regelungen des UrhG bzw. der Einführung neuer Regelungen wie Nutzungsrechte, Leistungsschutzrechte, Schranken, Schutzfristen etc. sollte – von rein persönlichkeitsrechtlichen Regelungen abgesehen – vorab eine gesamtgesellschaftliche Kosten-Nutzen Analyse durchgeführt werden.

Was er damit meint, wird im Kontext klar: Urheber- und Leistungsschutzrechte sollen eingeschränkt oder sogar abgeschafft werden, damit Google ungehemmt kostenlos auf Kreativität und Investitionen von Urhebern und Werkmittlern zugreifen kann.

Woher diese Vermutung? Sie liegt nahe, da Hallers Thesenpapier unmittelbar im Anschluss an die Thesen von Prof. Dr. Ansgar Ohly, LL.M., von der Juristischen Fakultät der Ludwig Maximilians Universität München steht. Ohly hat schon viel Gutes für Google getan und ist deutschen Urhebern, Verlagen, Musikproduzenten, Sendern und Filmherstellern als eifriger Untertunnelungsarbeiter ihrer Rechte bekannt. In Hannover ging Ohly aufs Ganze und forderte im Thesenpapier die Abschaffung ganzer Gruppen von Rechten:

Die Leistungsschutzrechte für Lichtbilder, Laufbilder und Presseerzeugnisse sollten abgeschafft werden. Auch über eine Abschaffung des Sui-generis-Schutzrechts für Datenbanken ist nachzudenken. Jedenfalls sollte eine Beschränkung für Datenbanken amtlicher Werke eingeführt und das Schutzrecht der allgemeinen Schranke für Suchmaschinen (These 17) unterworfen werden.

Mit „Schranke für Suchmaschinen“ meint Ohly in der Sprache der Urheberrechtler ein gesetzliches Nutzungsprivileg für Suchmaschinen, nicht unähnlich der Ausnahme für Zitate. Ohly schreibt in These 17 wörtlich:

Auf europäischer Ebene sollte eine neue Schrankenregelung eingeführt werden, die Suchmaschinen von der Haftung für unmittelbare Verletzungen freistellt, sofern die Anzeige nur dem Auffinden anderer Websites dient und nicht über das zu diesen Zwecken erforderliche Maß hinausgeht. Als Intermediäre haben Suchmaschinen und Setzer individueller Links die Pflicht, nach einem konkreten Hinweis auf eine Rechtsverletzung den betreffenden Verweis zu beseitigen. Eine Pflicht zur Suche nach gleichartigen Verletzungen kommt nur in engen Grenzen in Betracht.

Schöner hätte Google das selbst nicht fordern können. Verständlich, dass Haller seine eigenen Thesen etwas zurückhaltender formulieren konnte. Es musste Google im Vorfeld des Juristentags jetzt nun nur noch darum gehen, eine Mehrheit in der Arbeitsgruppe zu beschaffen. Damit wäre der erste Nagel in den Sarg zahlreicher Produzentenrechte getrieben worden. Auch das bei Google nicht sonderlich beliebte Leistungsschutzrecht für Presseverleger wäre davon betroffen gewesen.

Um nichts dem Zufall zu überlassen, schaffte es Google außerdem noch, Prof. Dietmar Harfhoff vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, einen Wirtschaftswissenschaftler, als Gutachter in die Arbeitsgruppensitzung der Urheberrechtler zu bugsieren. Harfhoff lieferte Hilfsargumente, die Googles wirtschaftliches Anliegen untermauern sollten.

Damit es dem Kongress an nichts fehlte, sprang zudem die Sozietät Hengeler Müller als einer der Sponsoren des Juristentags ein. Die Großkanzlei vertritt Google und seine Tochterfirmen in zahlreichen Fällen. Damit war eigentlich alles getan, um den Kongress aufs richtige Gleis zu setzen.

Wie schaffte es Google, das urheberrechtliche Programm des Juristentags so sehr in seine Richtung zu lenken und die richtigen Fachleute auf die Rednerliste und in das Thesenpapier zu bekommen?

Auch hier hat die unselige Verquickung von Google mit der Wissenschaft wieder gute Dienste erwiesen. Googles Anwalt Prof. Dr. Wolfgang Spoerr hält eine Honorarprofessur an der Humboldt Universität inne, bei der auch der Vorsitzende des Fachprogramms Urheberrecht beim Deutschen Juristentag, Prof. Dr. Gerhard Wagner, einen Lehrstuhl besetzt.

Die Juristische Fakultät der Berliner Humboldt Universität hat sich Google in bedenklichem Maße ausgeliefert, da sie sich von dem Konzern das Institut für Internet und Gesellschaft finanzieren lässt. Ohne die Google-Millionen, die in dieses Institut fließen, könnte sich die Fakultät dramatisch weniger Mitarbeiter und Projekte leisten. Unter dem Siegel der ehrwürdigen Humboldt Universität wächst an der Juristischen Fakultät eine ganze Generation neuer Rechtswissenschaftler heran, die Google in ihren prägenden Jahren als hilfreich fütternde Hand erlebt hat.

Niemand kann renommierten Wissenschaftlern wie Wagner unterstellen, dass sie sich von den Google-Millionen direkt instrumentalisieren lassen. Aber sie setzen sich dem Verdacht aus, dass sie ihren wichtigsten Geldgeber nicht so neutral behandeln, wie es wissenschaftlich geboten wäre. Besonders unschön keimt dieser Verdacht auf, wenn das Fachprogammm Urheberrecht auf dem Juristentag so erkennbar Googles wirtschaftlichen Interessen das Wort redet, und einer der Hauptprofiteure von Googles Wissenschaftsförderung dafür die inhaltliche Verantwortung trägt.

Wie ist die Abstimmung in Hannover ausgegangen? Trotz aller Mühen musste Google eine Niederlage einstecken. Die Anträge, die Leistungsschutzrechte für Lichtbilder, Laufbilder und Presseverleger abzuschaffen, wurden mit klarer Mehrheit abgelehnt. Im offiziellen Beschlussprotokoll des Deutschen Juristentags heißt es:

7. a) Die Leistungsschutzrechte für Lichtbilder und Laufbilder müssen abgeschafft werden. abgelehnt 18:21:7
b) Das Leistungsschutzrecht des Presseverlegers muss abgeschafft werden. abgelehnt 14:27:8

Die Vermutung liegt nahe, dass Google es dabei nicht bewenden lassen wird und seine Wissenschaftsförderung weiter ausbaut. Offenbar kommen noch nicht genug deutsche Juristen in den Genuss der großzügigen Förderung des Suchmaschinen-Monopolisten.

 

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