Kann man mit aufwendiger Recherche im Netz Geld verdienen? Ja, man kann!



Sinkt die Aufmerksamkeitsspanne der Leser im Internet? Geht das Netz auf Kosten von journalistischer Qualität? Haben gründliche Recherche und ausführliche Erzählungen im Zeitalter von Smartphones und Tablets ausgedient? Über diese Fragen wird viel spekuliert, und Kulturpessimisten haben in der Debatte die Oberhand. Doch ihre trübselige Sicht auf das Netz ist fehl am Platze. Auch im Netz kann mit aufwendiger Recherche und langen Texten viel Geld verdienen. Hierzu ein konkretes Beispiel aus den USA: Steve Brills großartiges Stück über das amerikanische Gesundheitssystem.

Die Geschichte, die ich hier als Beispiel für den Boom des sogenannten Longform Journalism gebe, stammt aus dem März. Ich hatte seinerzeit von dem Beitrag gehört, doch seine Bedeutung ist mir erst richtig klar geworden, als ich gestern mit Steve Brill in New York Mittagessen war und er mir denn Fall aus erster Hand erzählte.

Brill ist ein bekannter Journalist und Publizist, der gemeinsam mit Gordon Crovitz, ehemals Publisher des Wall Street Journal, den Paywall-Dienstleister Press Plus gegründet hat und damit heute einen Marktanteil von etwa 90 Prozent besitzt – gemessen an den journalistischen Webseiten, die keine eigene Zahltechnologie programmiert haben. Wer also in den USA Geld für seine journalistischen Angebote nehmen und nicht Millionen in Technik stecken möchte, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Kunde bei Crovitz und Brill. Die beiden Gründer haben die Medienlandschaft mit ihrem Produkt nachhaltig verändert. Guter Journalismus sollte etwas kosten – das findet inzwischen rund die Hälfte der amerikanischen Webseiten, und die andere Hälfte hat öffentlich erklärt, ebenfalls bald Geld nehmen zu wollen.

Woher kommt das Geld für die Krankenhaus-Paläste?

Bei allem geschäftlichen Erfolg ist Brill nebenher Publizist und Autor geblieben. Eines Tages, bei einem Besuch an der Rice University in Texas, fiel ihm auf, dass die modernsten und schicksten Hochhäuser der Stadt zur Universitätsklinik gehörten. Er stellte sich eine schlichte Frage: „Woher kommt eigentlich das Geld dafür?“ Schon nach kurzer Recherche fand Brill heraus, worin das wahre Problem des amerikanischen Gesundheitswesens liegt: die Rechnungen der Krankenhäuser sind absurd überteuert. Obwohl die meistens Anstalten angeblich gemeinnützig arbeiten, fahren viele von ihnen Hunderte Millionen Dollar Gewinn ein, zahlen ihren Vorstandsvorsitzenden Millionengehälter und knöpfen den Patienten horrende Summen ab – zu bezahlen oft per Vorkasse. Selbst bei akuten Fällen gibt es keine Behandlung, ohne dass fünfstellige Beträge vorab per Scheck bezahlt werden.

Steve Brills Autorenzeile unter dem Time-Beitrag

Brill stieg tiefer in das Thema ein. Er untersuchte ein halbes Dutzend lächerlich überteuerter Krankenhausrechnungen Zeile für Zeile und schlüsselte dabei die Kosten im Einzelnen auf. Zu Tage förderte er dabei dreiste Unverschämtheiten, die einem die Sprache verschlagen: Einzelne Tabletten schlagen zum Beispiel mit 1,50 Dollar pro Stück zu Buche, obwohl man die 100er-Packung bei Amazon für 1,49 Dollar bestellen kann. Millionen Amerikaner werden durch Krankenhausrechnungen in die Insolvenz getrieben. Krebs ist manchmal ein Todesurteil, aber in fast zwei Dritteln der Fälle Grund für Zahlungsunfähigkeit, finanziellen Ruin und totale Überschuldung der ganzen Familie.

„In der Politik wird über die falschen Fragen diskutiert“

„Die Politik diskutiert nur darüber, wer die Rechnungen bezahlen soll – der Staat, die Versicherung oder der Patient“, sagt Brill. „Dabei müsste es in Wahrheit darum gehen, warum diese Rechnungen überhaupt so hoch sind. Darin liegt der wahre Skandal.“

Das Ergebnis seiner Recherche schrieb Brill in einem Artikel von epischer Länge nieder. Er bot ihn zunächst der Zeitschrift New Republic an, die den Text begeistert nahm, wegen eines Obama-Interviews aber eine Ausgabe nach hinten schieben wollte. Brill zog den Text zurück und verkaufte ihn an Time Magazine. Die traditionsreiche Zeitschrift machte sie zur Titelgeschichte, die insgesamt 37 Seiten im Blatt einnahm. Davon 25 Seiten reiner, eng bedruckter Text. Die Ausgabe wurde ein gewaltiger Verkaufsschlager, vergleichbar nur mit der Ausgabe zum Mord an John F. Kennedy. Offenbar hatte Brill einen Nerv getroffen, besonders bei Menschen, die neben einer schweren Erkrankung auch noch den finanziellen Untergang zu ertragen haben. In den meisten Fällen begleichen die Kassen nur einen Bruchteil der anfallenden Kosten.

So sahen die Textseiten aus in der Time-Ausgabe aus. Optisch harte Kost, schreiberisch aber hervorragend gelöst:

Ergänzte wurde der Text durch einprägsame Beispiele wie hier jenes von der einfachen Wund-Gaze, die mit absurden 77 Dollar pro Stück in der 348.000-Dollar-Rechnung eines Lungenkrebs-Patienten zu Buche schlug, obwohl man die Gaze in jeder Apotheke für ein paar Dollar kaufen kann:

Ansturm im Netz und am Kiosk

Mustergültig transportierten Time und Brill den Text ins Netz. Am ersten Tag lasen bis zu 32.000 Menschen den Text gleichzeitig im Internet, obwohl er schon aufgrund seiner Länge alles andere als Schnellkost ist. Bis heute zählt der Beitrag zu den meistgeklickten Artikeln bei Time und CNN.

Auch im Netz belegte Brill den Text mit detaillierten Auszügen aus den einzelnen Rechnungen:

Und mit zahlreichen aufschlussreichen Infografiken:

Immer wieder eingeblockt wurden Fakten wie zum Beispiel der abenteuerliche 10.000-Prozent-Preis-Aufschlag eines gemeinnützigen Krankenhauses auf handelsübliche Acetaminphen-Tabletten:

Verlage rissen sich um die lange Fakten-Reportage

Die Brill’sche Arbeit war bei Time so erfolgreich, dass der New Republic in die Kritik geriet, sich den Text entwischen gelassen zu haben. Selbst die New York Times griff diesen Fall in einem Bericht auf:

Den ganzen Text der Brill-Reportage findet man hier. Aber man muss für das Lesen bezahlen. Der One Week Digital Pass von Time.com kostet 4,99 Dollar, das Jahres-Digital-Abo 30 Dollar. Das ist die Seite, die man zu sehen bekommt, wenn man auf den Link klickt:

Deutsche Verlagen sollten mutiger sein

Glänzende lange Texte gibt es im deutschen Journalismus auch. Gar keine Frage. Aber deutsche Verlage sind meist zu schüchtern, Geld vom Publikum für die Leistungen ihrer Redaktionen zu verlangen. Entweder verstecken sie die Arbeiten vor dem Netz und bringen sie gar nicht erst auf ihre Seiten. Oder sie verschenken sie dort einfach. Keiner der beiden Wege ist in die Zukunft gerichtet und nachhaltig. Deutsche Verlage sollten mutiger sein. Heute lassen sie einfach Geld auf der Straße liegen.

Steve Brill und Time machen das klügere Modell vor: ausführliche, penible journalistische Recherche präsentiert in lebendiger und einprägsamer Form. Dargereicht auf Papier und im Netz, dabei die Stärken des jeweiligen Mediums ausnutzend. Geld wird für beides genommen – für die Papier-Version und für die Netz-Ausgabe. Aus den Überschüssen können die Verlage Journalisten bezahlen und neue Aufträge verteilen. So soll es sein.

Bilder: Time Magazine, Time.com, New York Times, NYT.com



 

24 Kommentare

 
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    Richtig ist auf jeden Fall, das man von den Geld verdienen im Internet leben kann. Das kann ich aus eigener Erfahrung behaupten ;-)

    Beste Grüße

    Steffen

     
     
  24. Anselm

    Das kann ja gar nicht sein, das man ohne LSR im Netz mit Inhalten Geld verdienen kann.

    Man sollte mal einer dem Keese erzählen … aber wer nur in “Klicks” denkt, hinkt der Zeit eh’ einige Jahrzehnte hinterher …

    Liegt wahrscheinlich daran, das Springer & Co. mit Inhalten ja eher wenig zu tun hat …

     
     

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