Hallo Herr Schultz,
danke für Ihren offenen Brief auf Ihrem Blog „Presseschauer“ (www.presseschauer.de). Ich antworte gern, denn die Debatte, die wir aus unterschiedlichen Richtungen führen, ist wichtig für den Erfolg von Journalismus im Netz. Geld ist nicht alles, aber ich denke, wir sind uns einig: Ohne funktionierende wirtschaftliche Ökosysteme, die Journalisten im Netz ein Auskommen ermöglichen, sind Qualität und Vielfalt in Gefahr.
Dass Sie Ihr Lob auf „The European“ ernster und weniger ironischer meinten, als ich zunächst dachte, freut mich. Dann können wir ja umso besser über die Sache diskutieren.
Sie sprechen die neusten Quartalszahlen der Axel Springer AG an und schreiben, die guten Ergebnisse seien ein weiteres Indiz dafür, dass es eines Leistungsschutzrechts nicht bedürfe. Hier muss ich Ihnen widersprechen.
„Insofern ist die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht immer noch nicht nachvollziehbar“
heißt es wörtlich in Ihrem Text. Dann zitieren Sie Heise Online:
„Die Schwäche im deutschen Zeitungsmarkt wurde mit einem kräftigen Wachstum im digitalen und internationalen Geschäfts mehr als wettgemacht.“
Steckt hier wirklich ein Widerspruch, wie Sie ihn aufzeigen? Nein, das tut er nicht.
Im deutschen Zeitungsgeschäft musste unser Haus einen Rückgang bei Umsatz und Gewinnmarge verzeichnen. Das verschweigen Sie, obwohl es deutlich in unserer Pressemitteilung steht. Warum reichen Sie diese Information nicht an Ihre Leser weiter? In diesem Rückgang zeigen sich die strukturellen Verschiebungen, von denen die Verlage seit langem sprechen. Auch ein gesundes und starkes Unternehmen wie das unserige bleibt davon nicht verschont. Wir haben das im Rahmen unserer Quartalsberichterstattung deutlich gesagt, Sie aber verschweigen es, weil es Ihre Argumentation gestört hätte.
Wir reagieren auf den Strukturwandel, indem wir die digitale Transformation als Chance und Herausforderung annehmen. Im unserem Segment Digitale Medien konnten wir kräftiges Wachstum verzeichnen. Die Quartals-Erlöse stiegen um 26,3 Prozent auf 202,2 Millionen Euro, während sich der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) nahezu verdoppelte. Das Digital-Geschäft macht jetzt 28,8 Prozent an den Pro-forma-Gesamterlösen des Konzerns aus.
Wenn dieser Erfolg den journalistischen Webseiten geschuldet wäre, träfe Ihr Argument vielleicht zu, dass es eines Leistungsschutzrechts nicht bedürfe. Doch dem ist leider nicht so. Der erfreulich hohe Umsatz stammt nur zu einem sehr geringen Teil von unseren journalistischen Webseiten. Sie hätten das sehr leicht herausfinden können, indem Sie auf unsere Webseite gehen oder unseren Geschäftsbericht lesen. Im Übrigen weisen wir in allen öffentlichen Veranstaltungen darauf hin. Auch in unserem Streitgespräch hatte ich diese Tatsache betont. Sie sollten das zur Kenntnis nehmen.
Worauf beruht unser Erfolg im Internet dann also größtenteils? Auf dem Erfolg vieler Beteiligungsfirmen, die nichts oder sehr wenig mit Journalismus zu tun haben. Als Beispiele seien die Suchmaschine Idealo, der Vermarkter Zanox oder die Stellenplattform Stepstone genannt. Mit diesen hauptsächlich Nicht-journalistischen Angeboten verdienen wir den Löwenanteil unseres Geldes im Netz.
Warum verschweigen Sie das, obwohl Sie es wissen? Weil es Ihr Argument als unhaltbar erscheinen lassen würde. Sie wiederholen hier und anderer Stelle immer wieder die simple Formel: „Springer fordert Leistungsschutzrecht, obwohl das Unternehmen im Netz klotzig verdient“. Ihrem eigenen Anspruch an Ihren Blog stünde es aber gut zu Gesicht, wenn sie die Wahrheit so darstellen würden, wie sie nun einmal ist. Die Überschrift würde dann richtigerweise lauten: „Springer verdient viel Geld im Internet, aber viel zu wenig mit Online-Journalismus.“ Die Unterzeile könnte lauten: „Qualitätsjournalismus ist auf die Quersubvention von Verlagen angewiesen.“
Zu einer simplen Botschaft nach Muster „Konzern heuchelt“ würde eine solche Überschrift allerdings kaum taugen. Sie müssten dann der komplexen Wirklichkeit auf den Grund gehen. Wollen Sie sich dieser Mühe nicht unterziehen? Die Wirklichkeit verändert doch am meisten, wer sie am besten beschreibt.
Dass unsere journalistischen Webseiten trotz ihrer großen Reichweitenerfolge leider nur zu einem kleinen Teil zu unserem finanziellen Erfolg im Netz beitragen, liegt keineswegs an den Redaktionen oder Journalisten. Ganz im Gegenteil: Sie sind publizistisch außerordentlich erfolgreich. Es liegt vielmehr am wirtschaftlichen Ökosystem. Im Internet hat sich bisher noch keine Struktur herausgebildet, die Journalisten und Verlage angemessen an der Wertschöpfung beteiligen würde, die sie erzeugen.
Das Leistungsschutzrecht ist ganz sicher kein Allheilmittel. Das hat auch nie jemand behauptet. Es wird die Probleme nicht schlagartig oder vollständig lösen. Aber es ist doch ein wichtiger Beitrag zur Gestaltung des rechtlichen Rahmens. Nicht mehr und nicht weniger.
Rechtliche Rahmen sind Ausdruck und Maß von Zivilisation. Natürlich droht stets die Gefahr von Überregulierung, auf die Sie hinweisen. Ich gehöre auch zu jenen, die Überregulierung kritisieren. Warum sonst hätte ich ein Buch namens „Rettet den Kapitalismus“ geschrieben? Wer das Buch liest, wird mich kaum für einen Etatisten und Staatsinterventionisten halten. Doch wer liberal denkt, denkt in Ordnungsrahmen. Freiheit entsteht durch den wirksamen Schutz von Sphären gegen die Eingriffe unberechtigter Dritter. Es gilt, die verschiedenen Interessen so auszubalancieren, dass keiner dem anderen zu nahe tritt und jeder jenes Maß an Freiheit genießt, das dem anderen nicht schadet.
Abwesenheit von Ordnung ist Anarchie. Man mag diese Anarchie in den wilden Jahren nach einer Revolution genießen, aber vergessen wir nicht, dass Anarchie nur ein anderes Wort für Faustrecht ist. Ich für meinen Teil möchte nicht erleben, dass die Kreativen zu den großen Verlieren der Anarchie im Internet gehören. Das wäre keine besonders schöne neue Welt, in der zwar jeder seine Meinung sagen und seine Werke veröffentlichen, aber niemand davon leben kann.
Als Walter Benjamin vom „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ und von der „Aura des Originals“ schrieb, konnte er nicht ahnen, dass zwei, drei Generationen später das Original in den Kopien untergehen würde. Dass Kopien so allgegenwärtig und wirtschaftlich so mächtig werden würden, dass die Schöpfungsbedingungen des Originals von der Auflösung bedroht wären und die Welt schon bald in eine Endlosschleife der Kopie hineintaumeln könnte, die kaum noch vom Neuen bereichert wird und immerfort nur sich selbst zitiert.
Wie gesagt: Das Leistungsschutzrecht wird dieses Problem nicht allein lösen. Aber es stärkt doch immerhin die rechtliche Position jener, die in Journalismus investieren. Müsste das nicht eigentlich Ihren Beifall verdienen?
Kurz noch zu Ihren Anmerkungen hinsichtlich unseres Interviews: Ja, natürlich, unter normalen Umständen hätte ich Ihnen das Transkript zur Redigatur geschickt, bevor ich es veröffentliche. Es ist ja unser gemeinsamer Text. Ich habe es nur deswegen nicht getan, weil Sie mir in ihrem Blog und an anderen Stellen vorgeworfen haben, den Text bewusst unter Verschluss zu halten, weil er peinlich für mich und ein Sieg für Sie gewesen wäre. Das war weder höflich noch kollegial, und das wissen Sie auch. Immerhin lag die ganze Textarbeit bei mir. Wären Sie zu unserem Gespräch mit einem funktionierenden Tonbandgerät erschienen, hätten Sie den Text auch selber abschreiben und veröffentlichen können. Ihre technische Panne in meine Böswilligkeit umzuinterpretieren, bedurfte schon einiger Chuzpe.
Habe ich mit dem Veröffentlichen des Textes Ihr Urheberrecht verletzt, wie Sie schreiben? Keineswegs! Wir haben ein zur Veröffentlichung bestimmtes Streitgespräch geführt, kein Interview. So war es vereinbart. Somit gehört das Gespräch als solches zur Hälfte mir, nicht Ihnen allein. Die Abschrift ist ganz und gar meine eigene Leistung. Falls Sie Änderungen am Transkript wünschen, lassen Sie mich diese bitte wissen. Ich füge sie ein.
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Keese
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Es ist schon verblüffend, dass einer der größten Gemischtwarenkonzerne für seine Werbe- & Marketingabteilung auch noch Zuschüsse haben will. Wie Herr Keese ja bestätigt, spielt das Zeitungsgeschäft eine immer geringere Rolle und die Gewinne kommen immer mehr aus anderen Bereichen.
Irgendwie dienen die Zeitungen hauptsächlich als Verkaufsplattform für die eigenen Produkte und die Affiliate Programme. Vielleicht sollten ALDI und LIDL ein paar News in ihre Prospekte einbauen und dann auch Leistungsschutzrechte einfordern.
Es ist jedenfalls eine Dreistigkeit die Werbeausgaben sozialisieren zu wollen.
Stadler
Wer in Büchern die Rettung des Kapitalismus fordert, sollte nicht gleichzeitig staatliche Umverteilungsmechanismen (vulgo. Leistungsschutzrecht) propagieren.
Das Gesamtkonzept des Herrn Keese und der Verlage lässt sich wahrheitsgemäß am Besten folgendermaßen zusammenfassen: Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste.
[...] Dank für die schnelle und ausführliche Antwort zu meiner offenen Mail von letzter Woche. Hierzu noch einige Anmerkungen meinerseits. „Im [...]
Leistungsschutzrecht, das tote Pferd | der presseschauer
17. Mai 2011
Klischeepunk
Ich konzentriere mich mal auf die Dinge die mir am meisten aufstoßen ohne eine gesamten Kommentar abzugeben, sonst werde ich gar zu gehässig.
a) Abwesenheit von Ordnung ist Anarchie.
Anarchie ist erstmal die Abwesenheit von Reglementierung, nicht von Ordnung.
b) Man mag diese Anarchie in den wilden Jahren nach einer Revolution genießen, aber vergessen wir nicht, dass Anarchie nur ein anderes Wort für Faustrecht ist.
Das klingt ja als wäre die durchschnittliche Revolution ne riesige Party, nach welcher, quasi auf der After-Show Party nochmal kräftig einer mit n paar Restrevoluzzern gehoben wird… Eine Revolution endet quasi nie in einer Anarchie, sondern in einer Tatsächlichen “Faustrecht” Gesellschaft, hier gilt nicht die Abwesenheit von Regeln oder Gesetzen sondern das Recht des stärkeren, eine Situation die mit einer Anarchie nicht gleichgesetzt werden kann. Und ob man das sonderlich genießt halte ich auch für fraglich, zumindest falls man keine Schlagkräftige Privatarmee hat, aber eigentlich ist Anarchie ein Wort für das wegfallen jeglicher Regelung oder gesetzlicher Einschränkung, einschließlich des Faustrechtes. Ach wenn ich so nen dreck les’ kommt’s mir echt hoch.
c) Ich für meinen Teil möchte nicht erleben, dass die Kreativen zu den großen Verlieren der Anarchie im Internet gehören.
Das Internet ist _kein_ rechtsfreier Raum. Soviel zur “Anarchie im Internet”. Die Rechte/Pflichten mögen sich im Netz überschneiden, aber sie sind vorhanden. Ein Leistungsschutzrecht gibt es bereits über ein veraltetes, überflüssig gewordenes (zumindest in seiner derzeitigen Form) Urheberrecht. Der Gedanke ist nicht “Mein Verlag muss Kohle machen” – sondern der Gedanke ist es soll verbreitet werden, veröffentlicht werden und kopiert werden. Kopiert? Ja, kopiert. Das Basisgeschäft eines jeden Verlages. Man nehme ein Werk und kopiere es, auf das es möglichst viele Menschen erreiche. Ganz genau das tut ein Verlag, was auch bitter notwendig _war_. Nur leben wir nicht mehr in ner Zeit in der es sich 3 Menschen im Land leisten können ein Buch zu kopieren und es in mühevoller Handarbeit quasi jedesmal neu erstellen müssen, sondern in einer Zeit in der sich jeder Informationen nehmen und sie verbreiten kann. Verlage sind Modelle aus einer Zeit in der dies so nicht möglich war.
Anmerkung zum Urheberrecht noch: “Der Verlag” sollte nie Rechte an irgendetwas besitzen dürfen. Urheberrechte sind Rechte des schaffenden. Diese können gern zeitlich befristet sein. Für Nachrichtenartikel kürzer, für Bücher länger – und irgendwann sollte Information an $Mensch übergehen im Sinne eines freien Austausches und freier Information um Wissen und Möglichkeiten zu erweitern.
d)Das wäre keine besonders schöne neue Welt, in der zwar jeder seine Meinung sagen und seine Werke veröffentlichen, aber niemand davon leben kann.
Ich wär schon happy in einer Welt in der 1 und 2 einwandfrei funktioniert über 3 können wir immer noch reden. 3 Hat übrigens oft etwas mit dem Geschmack der Umwelt und der Qualität der Arbeit zu tun, trifft beides nicht zu, frage ich mich wieso ich dafür zahlen sollte…