“Geistiges Eigentum muss geschützt und entgolten werden”



Daniel Schultz: Wie hoch waren die Spenden der Axel Springer AG für die Wikipedia im letzten Jahr?

Christoph Keese: Wir haben nichts für Wikipedia gespendet. Wie viel haben Sie gespendet?

Schultz: Ich habe zehn Euro gespendet.

Keese: Warum?

Schultz: Weil ich das Projekt gut finde und unterstützen möchte.

Keese: Ohne Frage, das ist ein gutes Projekt, aber unser Schwerpunkt liegt auf Journalismus.

Schultz: Können Sie sich an die Geschichte in der Bildzeitung „Müssen wir uns diesen Namen merken?“ erinnern? Sie, beziehungsweise jemand aus Ihrem Unternehmen, haben an der Stelle Inhalte der Wikipedia verwendet und nicht darauf verlinkt beziehungsweise diese beseitigt.

Keese: Sie meinen den vollständigen Namen Karl-Theodor zu Guttenbergs? Der ist auch ohne Wikipedia bekannt.

Schultz: Wie geht man damit um, wenn man eigentlich lizenzfreie Inhalte verwendet, ob das Projekt oder die Autoren einen Benefit davon haben?

Keese: Wir zahlen für alles Honorare, was rechtlich geschützt ist. Falls wir dabei etwas übersehen, honorieren wir nach. Geistiges Eigentum muss geschützt und entgolten werden.

Schultz: Sie erwähnten Lizenzverträge im Bereich der Informationstechnologie als Vorbild für Lizenzmodelle bei Verlagen. Dort sind unter anderem Gewährleistungspflichten und Servicelevel-Agreements zur Qualitätssicherung üblich. Angenommen, der von Ihnen ins Feld geführte Banker vertraut auf eine Information des lizenzierten Qualitätsjournalismus, die sich als falsch herausstellt. Ist dann eine Entschädigung des Kunden durch die Verlage bei mangelhafter Produktqualität vorgesehen?

Keese: Journalismus ist keine Software. Ihr Vergleich hinkt.

Schultz: Aber Sie haben selber auf Lizenzverträge der Software-Industrie hingewiesen.

Keese: Als Hinweis darauf, dass es in anderen Bereichen üblich ist, geistiges Eigentum gegen Zahlung von Lizenzgebühren zu nutzen. Da endet der Vergleich aber auch schon.

Schultz: Der DFB veröffentlichte 2007 ein Rechtsgutachten zu einem Leistungsschutzrecht von Sportveranstaltungen. Begründet wird das Recht, eine Rechtslücke zu schließen mit anderen Ländern, in denen die Rechte der Veranstalter besser geschützt würden. Ist für Sie ein Marktversagen bei Sportveranstaltungen erkennbar?

Keese: Über den Markt von Sportveranstaltungen kann ich mich nicht kompetent äußern. Tatsache aber ist: Werkmittler bei Musik, Film, Konzertaufführungen und in vielen anderen kreativen Branchen besitzen ein eigenes Leistungsschutzrecht. Nur die Presseverleger stehen außen vor. Es besteht eine Regelungslücke, die geschlossen werden sollte.

Schultz: Sie fordern unter dem Begriff fair search eine Offenlegung der Induzierungsverfahren von Suchmaschinenbetreibern.

Keese: Nein, wir fordern eine faire Suche. Das ist ein Unterschied. Uns ist schon klar, dass ein Algorithmus, der sich ständig ändert, nicht einfach offen gelegt werden kann. Faire Suchergebnisse aber sind möglich, ohne den Algorithmus offen zu legen. Sind Sie denn dagegen, dass fair gesucht wird?

Schultz: Ich weiß, dass Google eine Marktmacht hat und auch andere Suchmaschinenbetreiber an der Stelle über diese Algorithmen geschützt sehen wollen. Ich sehe aber prinzipiell eine Schwierigkeit, ich kritisiere das auch bei Google, dass dort eine fehlende Transparenz herrscht.

Keese: Finden Sie die Suchergebnisse fair?

Schultz: Das, was ich suche, finde ich.

Keese: Fällt Ihnen auf, dass Google seine eigenen Produkte bei der Suche bevorzugt?

Schultz: Ich konnte mich bisher nicht über die Platzierungen beschweren. Dafür dass mein Blog relativ klein ist, habe ich das Gefühl, dass ich bei manchen Suchanfragen doch relativ weit vorn platziert bin.

Keese: Es geht nur darum, dass Suchergebnislisten nach Relevanz sortiert werden, nicht nach Zugehörigkeit zum Anbieter des Suchdienstes.

Schultz: Ich persönlich bin durchaus der Meinung, dass Google da unter Umständen den einen oder anderen bevorzugt und die Suchmaschinenoptimierung zu Ergebnissen führt, die nicht im Interesse des Nutzers liegen.

Keese: Nur darum geht es, nicht um Offenlegung von Algorithmen.

Schultz: Dennoch ist auch diese Diskussion in Richtung Offenlegung in den USA vorhanden. Würden Sie einen gläsernen Redaktionsprozess befürworten, bei dem zwischen einer bewussten Berichterstattung und mangelnder journalistischer Sorgfaltspflicht unterschieden werden kann?

Keese: Nein. In der Redaktion gilt das Redaktionsgeheimnis. Das muss so sein. Natürlich haben auch Suchmaschinen einen Anspruch auf Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse. Nicht auf die Lüftung des Geheimnisses, sondern auf das Suchergebnis kommt es an. In welchem internen Prozess eine Redaktion zu ihren Ergebnissen kommt, ist nicht Sache der Öffentlichkeit. Das, was am Ende in der Zeitung, auf der Website steht, muss fair, ausgewogen, gut recherchiert und stimmig sein; die Fakten müssen einer Überprüfung standhalten. Genauso kommt es bei Suchmaschinen darauf an, dass die Suchergebnisse fair präsentiert werden.

Schultz: Das ist ja zum Beispiel beim Fall Tauss nicht unbedingt gegeben gewesen. Ich kann mich erinnern, dass immer, wenn die Piratenpartei erwähnt worden ist, immer eine Referenz zu Tauss hergestellt worden ist, beziehungsweise zum Verfahren wegen Kinderpornografie, aber gleichzeitig Ursula von der Leyen mehrfach wegen der Vorführung von Kinderpornografie angezeigt worden ist.

Keese: Was hat das mit unserem Thema zu tun?

Schultz: Dies war eine bewusste Nicht-Berichterstattung. Ich habe mit dem Deutschen Presserat kommuniziert, der mir gesagt hat, dass das eine bewusste Nicht-Berichterstattung im Sinne der Pressefreiheit ist, was für mich durchaus nachvollziehbar ist, was aber bezüglich einer Ausgewogenheit für mich als Nutzer nicht nachvollziehbar ist.

Keese: Welche Forderungen leiten Sie daraus ab? Dass sich die Berichterstattung im Ergebnis ändert? Oder dass alle Redaktionsprozesse offen gelegt werden?

Schultz: Mir kommt es im Prinzip auf das Ergebnis an. Das ist das, was mich interessiert und es ist auch in den USA gerade aufgetaucht, weil sich dort ein Text in der New York Times auf Google bezog und dann an der Stelle die Suchmaschine durch die New York Times ersetzt wurde und sich der Text am Ende genauso gelesen hat, das heißt fehlende Nachvollziehbarkeit bei den letztendlich entstehenden Ergebnissen.

Keese: Bei diesem Punkt sind wir uns einig. Wir halten fest: Suchmaschinen sollten faire Ergebnisse abliefern. Es kommt auf das Ergebnis an, nicht auf die internen Prozesse.

Schultz: Wenn Provider als gewerbliche Nutzer gelten, müssen sie dann auch für ihre nicht gewerblichen Kunden entsprechend für Verlagsinhalte lizenzieren, um sich für Lizenzinhalte keine Schwierigkeiten einzuhandeln, ist es vorstellbar, dass Provider diese Inhalte technisch sperren? Wie würden Sie reagieren, wenn die Deutsche Telekom die Webseiten der „Bild“ nicht mehr an ihre Kunden herausgibt?

Keese: Sie sprechen hier gleich mehrere Fragen an. Erstens: Wer ist ein gewerblicher Nutzer? Zweitens: Was passiert, wenn ein gewerblicher Nutzer Inhalte an private Nutzer weitergibt? Drittens: Was folgt daraus für die Deutsche Telekom und „Bild“? Ich beantworte gern alle drei Fragen. Aber beginnen wir mit der ersten: Ein gewerblicher Nutzer ist jemand, der ein Angebot mit Gewinnerzielungsabsicht nutzt.

Schultz: Das machen doch Provider.

Keese: Der Provider leitet die Daten weiter.

Schultz: Nein. Es geht darum, dass der Provider, eben weil danach eine private Nutzung angeschlossen ist, dies in seine Lizenzierung inkludieren muss.

Keese: Ich verstehe Ihre Frage nicht.

Schultz: Die Kosten, die bei den Providern entstehen, müssen dann natürlich andere sein als bei einer ganz normalen Bank. Weil die Bank diese Information an dritte Privatnutzer weitergibt im Gegensatz zu einem Provider.

Keese: Das Leistungsschutzrecht umfasst wie alle anderen Urheber- und Leistungsschutzrechte das geistige Eigentum. Das Urhebergesetz sieht eine gewisse Privilegierung für private Nutzung vor. Das bedeutet zugleich, dass gewerbliche Nutzung nicht in diesem Maße privilegiert ist.

Schultz: Sind Sie bereit, für ein Produkt Geld auszugeben, für das es ein kostenloses Äquivalent gibt, das Ihren individuellen Bedürfnissen genügt?

Keese: Natürlich. Viele Menschen sind das, auch außerhalb des Journalismus. Bei Maxdome kosten Serienfolgen Geld, die gerade erst im Fernsehen umsonst gelaufen sind. Man könnte sie kostenlos auf dem Videorecorder aufnehmen. Trotzdem werden die Folgen verkauft.

Schultz: Wenn man das auf Open Office bezieht, gibt es einen Teil der Bevölkerung und auch für Firmen, der nicht unbedingt die Intention hat, ein kostenpflichtiges Äquivalent zu kaufen, weil es einfach den Ansprüchen genügt.

Keese: Wir stellen fest, dass kostenlose und kostenpflichtige Angebote gut nebeneinander stehen können. Bei „Bild“ und „Welt“ ist das gut zu beobachten. Finden Sie es legitim, dass jemand im Netz Geld für seine Leistungen verlangt?

Schultz: Ja, definitiv.

Keese: Finden Sie es legitim, dass sich mehrere Anbieter zusammentun, Bündel erstellen und ihre Rechte gemeinsam vertreten?

Schultz: Damit habe ich im Prinzip auch kein Problem.

Keese: Immer vorausgesetzt, dass sie den Preis vorher ankündigen.

Schultz: Natürlich.

Keese: Also haben Sie gegen das Modell der Verwertungsgesellschaften als solche prinzipiell nichts einzuwenden?

Schultz: Wenn man sich die GEMA anschaut, da hat man ein wenig den Eindruck, dass dort mehr Popularität entlohnt wird. Wenn man das auf Zeitungsinhalte bezieht, relativ populäre Inhalte, die Seiten sind, womit tatsächlich Geld verdient wird. Wo besteht bei einem Unternehmer das Anliegen, auch andere Inhalte als tatsächlich als super populäre Inhalte anzubieten?

Keese: Eine Verwertungsgesellschaft muss einen Verteilungsplan aufstellen, der von den Wahrnehmungsberechtigten genehmigt wird. Jeder Verteilungsplan muss nach gesetzlicher Vorschrift sicherstellen, dass kulturell höherwertige Güter einen überproportional hohen Anteil erhalten.

Schultz: Durch die Änderung des Rundfunkstaatsvertrags ist man bei den Öffentlich- Rechtlichen derzeit mit dem Löschen bestehender Inhalte beschäftigt. Um in der Sprache der Verlage zu bleiben, wie stehen Sie zu der massiven Enteignung der GEZ-zahlenden Allgemeinheit?

Keese: Was meinen Sie mit Enteignung? Das ist keine Enteignung.

Schultz: Die Inhalte sind von der Öffentlichkeit bezahlt.

Keese: Nein, das sind sie nicht. Die Behauptung, mit der GEZ-Gebühr sei alles für alle Verwertungsformen schon bezahlt, trifft nicht zu, meist noch nicht einmal bei Eigenproduktionen.

Schultz: Nein, das möchte ich auch nicht so stehen lassen, sondern mir geht es im Prinzip um die Inhalte, die tatsächlich von den Öffentlich Rechtlichen produziert worden sind.

Keese: Nur an einem kleinen Teil des Programms halten die Öffentlich-Rechtlichen alle Rechte.

Schultz: Auch dort werden Inhalte gelöscht.

Keese: Das Gesetz sieht eine Löschung nach Ablauf der Frist vor.

Schultz: In dem Augenblick werden sie der Allgemeinheit entzogen.

Keese: Das war niemals anders. Mit der Ausstrahlung hatte sich ein „Tatort“ schon immer versendet. Wer das Video haben wollte, musste extra bezahlen. Selbst Kochrezepte und Abschriften der Sendungen kosteten bei ARD und ZDF Geld. Ohne beigelegte Briefmarken wurden Eingaben überhaupt nicht bearbeitet.

Schultz: Jetzt in 2010 ist das ja nicht mehr der Fall.

Keese: Das kritisieren wir. ARD und ZDF erheben fälschlicherweise die Behauptung, die Gebührenzahler hätten alles für alle Zeit bezahlt und die Sender seien in der Lage, das Material ohne zusätzlichen Aufwand auf jedem denkbaren Kanal unbegrenzt lange zur Verfügung zu stellen. Diese Darstellung trifft nicht zu.

Schultz: Die Infrastruktur ist jetzt schon da.

Keese: Die Infrastruktur kostet Geld.

Schultz: Ja. Die ist von der Öffentlichkeit bezahlt.

Keese: Was von der Rundfunkgebühr umfasst ist, regelt der Staatsvertrag. ARD und ZDF haben sich immer darum bemüht, diesen Auftrag auszuweiten. Das ist kritikwürdig. Unbegrenztes Wachstum des öffentlichen Sektors darf es nicht geben. Damit wird die private Presse aus dem Markt gedrängt, was dem Prinzip der freien Presse und den Grundlagen unserer Gesellschaftsordnung widerspricht. Übrigens werden durch unbeschränkte Verwertung auch die Rechte der Produzenten beeinträchtigt.

Schultz: Mir ist es bekannt, dass diese dann schauen müssen, dass es eine Zweitverwertung für den Film gibt.

Keese: Ohne Ablauffristen gibt es keine Zweitverwertung. Die Zweitverwertung ist besonders dann wichtig, wenn ARD und ZDF nicht die vollen Produktionskosten erstatten, sondern die Produzenten mit einer Deckungslücke hinterlassen.

Schultz: Aber es gibt auch andere Autoren, die auf creative-commons-Lizenzen setzen und Inhalte für die Öffentlich Rechtlichen produzieren. Das führt dazu, dass unter Umständen die Inhalte von den Seiten der Öffentlich Rechtlichen verschwunden sind, aber weiterhin im Internet fortbestehen. Wäre das für Sie vertretbar?

Keese: Ernst Elitz, ehemaliger Intendant von Deutschlandfunk und Deutschlandradio, hat vorgeschlagen, dass öffentlich-rechtliche Sender nur noch auf creative-commons-Lizenz einkaufen, und all das, was sie besitzen, der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Damit würde das Material in die Public Domain übergehen. Jeder Blogger, aber auch jedes professionelle Medienunternehmen könnte darauf zugreifen. Ich halte das für einen bedenkenswerten Vorschlag.

Schultz: Ich bin jemand der dieses Lizenzmodell sehr schön findet und auch den Vorteil sieht, der sich gegenüber der Allgemeinheit ergibt, dass die Inhalte weiter verwendet werden können. Momentan ist es so, dass wenn man einen Blogbeitrag schreiben wollen würde und sich auf einen Inhalt bezieht, zum Beispiel eine Anmoderation einer Fernsehsendung oder ein Ausschnitt aus einer Polit-Talkshow, dass man Inhalte verwenden könnte.

Keese: Warum gehen ARD und ZDF nicht darauf ein?

Schultz: Ich habe den Eindruck, dass sie sich einen finanziellen Vorteil dadurch versprechen. Ob das wirklich so ist, kann ich nicht beurteilen, da fehlen mir die Zahlen und Einblicke. Ich sehe aber auch, dass eben Jüngere sich eher einen Vorteil davon versprechen, wenn sie die Inhalte unter Freilizenz zeigen.

Keese: ARD und ZDF können Programmproduzent zu sein, ohne Sender sein zu müssen. Und sie können Sender sein, ohne Produzent sein zu müssen. Es wäre zu erwägen, ob ARD und ZDF immer beide Rollen zugleich wahrnehmen müssen.

Schultz: Die Digitalisierung der Vossischen Zeitung wurde von dem Wissenschaftsverlag Walter de Gruyter mit Unterstützung der Axel Springer AG umgesetzt. Wenn die Digitalisierung von Google vorgenommen worden wäre, wäre der Zugang kostenlos und nicht mit einer einmaligen Gebühr in Höhe von EUR 27.390 belegt. Machen sich die Verlage nicht unglaubwürdig, wenn man selbst mutmaßlich gemeint freie Texte einer privaten Monopolvermarktung zuführt und Google für sein Handeln verurteilt?

Keese: Nein. Die Vossische Zeitung ist eine unverzichtbare zeitgeschichtliche Quelle, die lange nicht vollständig digitalisiert war. Mit der Digitalisierung wird eine Lücke geschlossen, es findet aber keine Monopolisierung statt.

Schultz: Also ich könnte mir weite Teile der Zeitung aus dem Archiv suchen.

Keese: Jeder kann die Vossische Zeitung digitalisieren.

Schultz: Das waren nur Stimmen, die ich aus dem Netz aufgefangen habe. Das war sogar von einem Juristen.

Keese: Woher kommt Vorwurf der Monopolisierung?

Schultz: Das weiß ich nicht und kann es nicht beurteilen.

Keese: Es kann ja scannen, wer möchte.

Schultz: „Es gibt den verfluchten Geburtsfehler des Internets, dass das Internet kostenlos ist. Diesen Fehler werden wir nicht korrigieren können.“ So Kai Wiedemann. Nun haben auch andere Medien wie Radio und Fernsehen ebenfalls diesen Geburtsfehler. Können Sie mir für diese Medien ein Unternehmen nennen, welches mit einem paid-content-Geschäftsmodell auch nur annähernd so erfolgreich wäre wie eines ohne?

Keese: Kabelfernsehen ist ein solches Beispiel. Man zahlt für das Kabel und seine Inhalte. Pay-TV ist ein anderes Beispiel. ARD und ZDF sind ebenfalls Pay-TV-Angebote.

Schultz: Ja, das möchte ich nicht abstreiten. Die Times hat gerade 90 Prozent ihrer registrierten Leser verloren.

Keese: Was schließen Sie daraus?

Schultz: Dass es andere Angebote gibt, die vielleicht die Bedürfnisse erfüllen.

Keese: Man kann auch sagen: Die Times hat viele zahlende Kunden gewonnen.

Schultz: Ich habe dies auf „Zeit Online“ gelesen, dass es 150.000 registrierte Leser waren und jetzt noch 15.000, die jetzt noch tatsächlich bezahlen, die angemeldet waren auf dem System.

Keese: Die Zahlen liegen sicherlich höher. Eine solche Zahl von Abonennten zu gewinnen, ist ein Erfolg.

Schultz: Dann müssen die Abos an der Stelle mehr erwirtschaften, als was sonst mit Werbung reinkommt.

Keese: Die richtige Kombination von Anzeigen- und Vertriebsumsätzen zu finden, ist anspruchsvoll. Verlage sind darin aber erfahren.

Schultz: Wobei dazu anzumerken ist, dass diese doch einen sehr special interest Inhalt haben, die kaum von jemanden anderen in der Form angeboten werden kann.

Keese: Es gibt viele exklusive Informationen, die einen Preis rechtfertigen. Denken Sie nur an Wirtschafts- oder Lokalinformationen.

Schultz: Wie erklären Sie sich die hohe Zahlungsbereitschaft für paid content unter den meist 20 bis 30 Jährigen, die von Mathias Döpfner als spätideologisch als „Webkommunisten“ tituliert wurden, wenn es zum Beispiel um World Of Warcraft geht?

Keese: Mathias Döpfner kritisiert nicht alle Webnutzer, sondern nur die Schwarzfahrer.

Schultz: Wenn man das Interview im Manager Magazin liest, dann liest sich das anders.

Keese: Nein. Wenn Leute für virtuelle Kanonenkugeln auf Spielplattformen bezahlen, zeigt dies, dass Zahlungsbereitschaft besteht. Aufgabe der Verlage ist es, Geschäftsmodelle und Bezahlformen zu entwickeln, die das Zahlen für Journalismus einfach und begehrenswert macht.

Schultz: Das geht so aus dem Manager Magazin Interview nicht so hervor, das letztes Jahr geführt wurde.

Keese: Doch. Webkommunist ist, wer seine Zahlungsverweigerung zum Dogma erhebt. Das aber tun die meisten Menschen nicht, wie Apples AppStore jeden Tag beweist.

Schultz: Verlagsmedien kopieren zunehmend von Blogs und bedienen sich in schamloser Weise bei Profilen sozialer Netzwerke. Werden hier nicht Urheberrechts- und Persönlichkeitsverletzungen als Qualitätsjournalismus verkauft?

Keese: Nein, das stimmt nicht. Nennen Sie bitte Beispiele.

Schultz: Ich kann Ihnen gern ein Beispiel geben. Erinnern Sie sich an den Beinahabsturz des Airbus in Hamburg, ich glaube vorletztes Jahr?

Keese: Ja.

Schultz: Soweit mir bekannt ist, ist an der Stelle dann in der „Bild“-Zeitung die Pilotin abgebildet worden und man hat ihr MySpace Profil dazu verwendet, um die Inhalte zu nehmen. Es gibt noch einen anderen Fall: Look like your T-Shirt. Dort gab es eine Aktion, wo die Nutzer eine Gruppe gebildet haben, wo man sich zum Motto gemacht hat, dass man so aussehen möchte wie sein T-Shirt. „Bild“ hat die Bilder genommen und verwendet.

Keese: Wir achten Persönlichkeits- und Urheberrecht. Wer sich darin verletzt sieht, führt Klage vor einem ordentlichen Gericht.

Schultz: Es gibt gerade ein aktuelles Beispiel von einem DJ, der in Frankreich sich sehr begeistert über sein Auflegen gezeigt hatte. Das Video ist dann auf der Webseite der „Bild“ gelandet.

Keese: Hat er das erlaubt?

Schultz: Nicht dass ich wüsste.

Keese: Hat er das Video zur freien Verwendung ins Netz gestellt?

Schultz: Das weiß ich nicht.

Keese: Vermutlich hat er das. Wer Videos auf eine Plattform hoch lädt, akzeptiert damit die Geschäftsbedingungen dieser Plattform.

Schultz: Gerade bei der Berichterstattung ums Leistungsschutzrechts entsteht der Eindruck, dass hauptsächlich diese von Blogs abgedeckt wird. Warum spielen Verlagsmedien in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle, obwohl sie selbst den Anspruch erheben, systemrelevant für die Meinungsbildung der Demokratie zu sein?

Keese: Verlage sind dieser Sache Partei. Deswegen ist Zurückhaltung geboten. Halten Sie Journalismus eigentlich für wichtig oder glauben Sie, dass Blogger die Funktion von Journalisten vollständig übernehmen könnten?

Schultz: Ich glaube nicht, dass die Blogger die Funktion der Journalisten übernehmen können und habe auch gar kein Interesse daran. Für mich gibt es durchaus Blogger, die journalistisch tätig sind und auch Journalisten, die bloggen. Was mir allerdings aufgefallen ist, dass ein wissenschaftlicher Dialog über Blogs stattfindet und dass das dies Öffentlichkeit erreicht, die nicht die breite Masse darstellt, und sich hier für Journalisten eine Chance ergibt, in Kontakt zu treten mit den Vertretern von bestimmten wissenschaftlichen Themen, und die Köpfe zu Interviews oder Stellungnahmen heranziehen zu können. Das ist das, was ich sehr schätze. Das, was ich von einem Journalisten erwarte, ist, dass er letztendlich die unterschiedlichen Meinungen einfängt und in eine Sprache verpackt, die dem Medium entsprechend dann an den Teil der Öffentlichkeit wendet.

Keese: Was ist für Sie der Unterschied zwischen Bloggern und einem Journalisten?

Schultz: Mir hat ein Rechtsanwalt journalistische Tätigkeit unterstellt. Auch wenn mich jemand fragt, wenn ich zum Beispiel bei einem Ministerium anrufe, dann kommt immer ganz schnell die Frage „Sind Sie denn Journalist?“, weil ich mich in der Regel an die Presseabteilung wende, damit ich eine Antwort bekommen möchte. Und sonst das Ganze als Bürgeranfrage gewertet wird. Das ist das, was mich stört, weil dadurch nicht beachtet wird, dass im Prinzip jeder die Antwort in gewisser Weise aufbereiten kann und damit einen bestimmten Teil der Öffentlichkeit erreicht. Was der Unterschied zwischen einem Blogger und einem Journalisten für mich persönlich darstellt, ist, dass der Journalist die Meinung insofern professionell aufbereitet, dass ein ausgewogenes Bild von den unterschiedlichen Parteien, die am Meinungsprozess beteiligt sind, dort abgebildet ist und er ganz klar dafür entlohnt wird. Die Intention des einzelnen Bloggers liegt häufig nicht darin, mit seiner Tätigkeit Geld zu verdienen.

Keese: Man könnte ergänzen, dass Journalisten ein anderes Berufsverständnis haben. Sie lassen sich redigieren. Es wird im Team gearbeitet. Der Blogger hingegen verbindet Autorenschaft und Redigatur gerne in einer Person. Gegengelesenwerden und Umschreiben gehört nicht automatisch zu seinem Selbstverständnis.

Schultz: Das ist, das was dann die Kommentatoren eines Blogs teilweise einfach übernehmen, wo dann im Prinzip Anmerkungen in den Kommentaren stattfinden und der Artikel mehr oder weniger einen lebenden Charakter einnimmt, wo dann auch Fehler, die unter Umständen von den Schreibern gemacht worden sind, korrigiert werden. Langsam fängt es an, dass man das auch bei Verlagsmedien macht, dass man die Kommentare aufgreift. Letztens gab es leider eine etwas unschöne Geschichte, wo die Internetöffentlichkeit dafür gesorgt hat, dass eine Transparenz für den Leser existiert. Kristina Schröder twittert auch und sich kürzlich über Hartz IV geäußert und meinte mit einem Spruch, dass es gerecht sei gegenüber denen, die arbeiten. Damit hat sie sich „in die Nesseln gesetzt“, was dann dazu führte, dass der Spiegel diesen „Wirbel“ aufgegriffen hat und daraus ein journalistisches Stück gemacht hat und dann auf einen Fakeaccount reingefallen ist, wo jemand einen relativ ähnlich klingenden Twitter-Account genutzt hat.

Keese: Wurde dieser Fehler wurde aufgeklärt und korrigiert?

Schultz: Oben im Artikel stand „Sie twittert ja jetzt nicht mehr“, denn sie hatte nach dem Tweed überhaupt nichts mehr geschrieben und als Auflösung „Sie twittert jetzt unter dem neuen Account“. Dann wurde es einfach entfernt, diese Zeile, wo die scheinbare Auflösung, warum sie nicht mehr twittert, zu sehen war. Dies führte dazu, dass die Leute angefangen haben, die Screenshots mit der Anleitung herumzuschicken und die Redaktion erst Stunden später auf die Idee gekommen ist, zu sagen, dass ihnen ein Fehler unterlaufen ist.

Keese: Solche Fehler gibt es auch in der analogen Welt. Nun gibt es sie im Internet. Umso wichtiger ist der Rückkoppelungsprozess in einer Redaktion. Eine abschließende Frage: Wenn Journalismus wichtig ist und Journalisten eine Aufgabe wahrnehmen, die von Bloggern nicht erfüllt werden kann, wie stellen Sie sich die Finanzierung von Journalismus vor?

Schultz: Die Entwicklung der Geschäftsmodelle halte ich für eine sehr große Herausforderung der Verlage. Da bin ich der Meinung, dass man noch mehr Sachen ausprobieren muss. Ich finde zum Beispiel sehr spannend, was der Daniel macht, dass die über ihre IP die Artikel zur Verfügung stellen, so dass andere Menschen die auch auf ihrem Portal einbinden können und dadurch die Reichweite für ihre eigenen Artikel erhöhen und gleichzeitig auch dort Werbung platzieren können. Es gibt natürlich auch ganz andere Möglichkeiten. Ich hatte mich mit dem kaufmännischen Leiter und dessen Kollegen von der FAZ unterhalten, was die Monetarisierung zum Beispiel der Druckfunktion des Browsers angeht. Also es gibt Möglichkeiten, mit CSS auf den Druck Einfluss zu nehmen. Entweder weil man weiß, dass die Seite ausgedruckt wurde, dass man passend Werbung platziert, zum Beispiel für Druckerpatronen, da man weiß, dass ist eine Zielgruppe, die besonderen Bedarf dafür hat. Eine andere Möglichkeit ist, dass man, falls jemand eine Seite ausdrucken möchte, den Ausdruck hinlegt, welcher zur Anmeldung bei dem System auffordert oder man zahlt ein Abo für das Ausdrucken oder für jeden einzelner Artikel.

Keese: Gute Idee. Es gibt viele Ideen, die derzeit ausprobiert werden.

Schultz: Deswegen finde ich es auch sehr spannend, dass die TAZ bei Flattr mitmacht, obwohl das Ganze sich noch in einer closed beta Phase befindet und sehr überschaubare Anzahl von Nutzern das System nutzt und dann doch 1.000 Umsatz macht. Es sind 8.000 Flattr-Nutzer in Deutschland. Bei diesen Zahlen ist der Umsatz schon mal nicht so schlecht.



 

5 Kommentare

 
  1. (Pingback)

    [...] Bereits zu unserem Interview warf ich ihrem Hause vor, Urheberrechts- und Persönlichkeitsverletzungen als Qualitätsjournalismus verkaufen zu wollen. Worauf hin Sie erst Beispiele einforderten und anschließend entgegneten: „Wir achten Persönlichkeits- und Urheberrecht. Wer sich darin verletzt sieht, führt Klage vor einem ordentlichen Gericht.“ Christoph Keese [...]

    Urheberrechts- und Persönlichkeitsverletzungen als Qualitätsjournalismus? | der presseschauer

    13. Mai 2011

     
  2. (Pingback)

    [...] mit Daniel Schultz und Christoph Keese.  Hier ein Auszug aus dem Interview mit dem Titel “Geistiges Eigentum muss geschützt und entgolten werden”: Daniel Schultz: Wie hoch waren die Spenden der Axel Springer AG für die Wikipedia im letzten [...]

    Echo Online, Axels Springer und die Piratenreligion | waschtrommler

    15. April 2011

     
  3. (Pingback)

    [...] “Geistiges Eigentum muss geschützt und entgolten werden” (der presseschauder) – Christoph Keese, "Außenminister" des Axel Springer-Verlages, veröffentlicht nach Monaten ein Interview mit ihm (von Daniel Schultz) zum Thema Leistungsschutzrecht (siehe auch: Carta). [...]

    Links anne Ruhr (15.04.2011) / Tipps anne Spree (re:publica XI) » Pottblog

    15. April 2011

     
  4.  

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