Noch einmal zu Breaking Bad: Fegefeuer, Purgatorium und Läuterungsberg



Dante schaut auf den Läuterungsberg. Gemälde von Agnolo Bronzino (1530)

Ein Detail aus dem Finale von Breaking Bad lässt mich nicht los: Hat Vince Gilligan sich von Thomas von Aquinos Konzept des Fegefeuers inspirieren lassen oder von Dantes Läuterungsberg? Und warum gibt es derart große konzeptionelle Unterschiede zwischen dem strafenden Fegefeuer des Aquino und dem rettenden Läuterungsberg des Dante? Kurt Flaschs Kommentar zur Göttlichen Komödie gibt Auskunft: Gilligan muss Dante gelesen haben. Hier Zitate und Begründung:

Als Protestant war mir die Ideenwelt aus Hölle, Fegefeuer und Paradies immer fremd. Beim Lesen der Göttlichen Komödie hatte ich mich schon in der Schule gefragt, warum wir im Deutschen „Purgatorium“ mit „Fegefeuer“ übersetzen, obwohl der zweite Teil der Komödie gar nicht im Feuer spielt, sondern auf einem Berg, auf dessen Spitze das irdische Paradies thront. Nachgegangen war ich der Frage nie. Bis Vince Gilligan mich dazu anregte, bei Kurt Flasch nachzulesen, was es mit Dantes Läuterungsberg auf sich hat. Dabei wird schnell klar: Die alten deutschen Übersetzungen des „Purgatoriums“ mit „Fegefeuer“ (beispielsweise 1876 bei Carl Streckfuß) gehen an der Sache vorbei. Lieber sollten wir mit Flasch von „Läuterungsberg“ sprechen.

Der Dichter vor dem Läuterungsberg: Fresco in Florenz

Dante selber stellt uns den Läuterungsberg, der eben kein „Fegefeuer“ ist, mit knappen Worten zu Beginn des Erstens Gesangs im Zweiten Teil vor. Streckfuß übersetzt die Definition so:

Wohin zur Reinigung die Geister schweben;
Um würdig dann dem Himmelreich zu nah’n.

Eindrucksvoller ist die Übersetzung des Königs Johann von Sachsen (Philalethes):

Durch bessre Flut den Lauf zu nehmen, ziehet
Die Segel auf meines Geistes Schifflein,
Das hinter sich so grauses Meer zurückläst,
Und singen werd’ ich von dem zweiten Reiche,
Allwo sich reiniget der Geist des Menschen
Und würdig wird, zum Himmel aufzusteigen.

In Kurt Flaschs Prosa-Übersetzung heißt es:

Und ich besinge jetzt jenes Zweite Reich, wo der Menschengeist sich reinigt und würdig wird, zum Himmel aufzusteigen.

Damit ist alles gesagt.

Der Läuterungsberg

Allen drei Übersetzungen gemein ist der Gedanke der Reinigung, also der Läuterung. Das Purgatorium ist keine Straf-, sondern eine Besserungsanstalt. In ihr bekommt man die Chance, seine Sünden durch entgegen gerichtete Taten zu tilgen und anschließend ins Paradies aufzusteigen. Also das Gegenteil eines Fegefeuers, wie wir es uns gern in der Tradition Aquinos vorstellen. Breaking Bad nimmt Anleihen bei dieser Besserungsanstalt. Walter White steigt dem Paradies entgegen, scheitert aber an der Überwindung aller Stufen – so wie die meisten Sterblichen in der Göttlichen Komödie. Auch sie erreichen das Paradies nicht und scheitern auf dem Weg dorthin.

Was genau ist der Läuterungsberg? Sehr anschaulich ist dazu Kurt Flaschs Geographie im Erläuterungsband der Prosa-Übersetzung:

Dante nahm an, Satan habe, als er vom Himmel zur Erde stürzte, ein gewaltiges trichterförmiges Loch in die Erde gerissen, das bis zum Erdmittelpunkt reicht, wo er seitdem im Eise steckt. Die Erdmasse. die der Teufel dabei verdrängte, sei auf der anderen Erdhälfte, die sich Dante als nur mit Wasser bedeckt vorstellte, als ein riesiger Berg aus dem Ozean heraus getreten. Das Feuerfeuer ist also bei Dante keine Feuerhöhle im Erdinneren wie bei Thomas von Aquino, sondern ein Reinigungsberg, den die Seelen besteigen, bis sie oben auf der äußeresten Hochebene das irdische Paradies erreichen. Dantes Purgatorium ist keine Strafkolonie, sondern eine Zone unterstützter Selbstreinigung.

So wie Dante im Inferno sieben Stufen der Sünden sieht, malt er sich auf dem Läuterungsberg sieben Stufen der Reinigung aus. Wie in der Hölle ist auch bei der Läuterung der Stolz,, auch Hochmut genannt, die schwerste aller Sünden. Hochmut war die Sünde Walter Whites. Er glaubte, Herr des Verfahrens und Richter über das Leben zu sein.

Matilda aus Canto 28 des Purgatoriums (von George Dunlop Leslie)

Kurt Flasch nennt drei Hauptunterschiede des Läuterungsbergs zur Hölle:

Bewegung: In der Hölle bewegt sich nichts. Man schmort dort, wo der Platz für die Sünder des eigenen Schlags ist. Im Purgatorium hingegen herrscht rege Tätigkeit. Die Sünder klettern den Berg empor in dem Versuch, das Paradies zu erreichen. Bewegung entsteht bei Breaking Bad dadurch, dass Walter White sein Exil verlässt, um seine Bußetaten zu vollbringen.

Beschwernis: Der Aufstieg auf den Läuterungsberg ist mühsam. Es kostet Kraft, sich zu läutern. Bei Breaking Bad kommt das zum Ausdruck durch die Widerstände, die Walter White zu überwinden hat.

Fürbitten: Dante und Vergil werden von den Sündern auf ihrem Weg über den Läuterungsberg um Gebete angefleht – Fürbitten mögen sie halten, um Gnade für ihre Seelen zu erwirken. Anders war es in der Hölle. Dort baten die Sünder um die Wiederherstellung ihrer Ehre. Bei Breaking Bad bittet Walter White zwar nicht mit Worten um Fürbitten, doch die Bußtaten zugunsten seiner Frau und seines Sohnes können wohl verstanden werden als Bitten um Eintreten für seine Vergebung. Übrigens ist bei Dante ganz wie bei Gilligan offen, ob die Fürbitten vom Grundsatz her Erfolg haben können.

Der Dichter Dante erscheint uns heute um vieles moderner als der Scholastiker Thomas von Aquino, obwohl weniger als ein Jahrhundert sie trennte. Bei Dante können wir uns durch Taten läutern. Ein Teil der Vergebung rückt in unsere Reichweite. Wir sind auch Subjekt und nicht nur Objekt. Mit Läuterung können wir etwas anfangen, mit Fegefeuer nicht.



 

2 Kommentare

 
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