Warum die New York Times den Boston Globe verkauft und damit Recht hat



(von Christoph Keese) Den bislang klügsten Text zum Verkauf des Boston Globe durch die New York Times hat Ken Doctor geschrieben. Der Text sei zur Lektüre empfohlen. Hier einige ergänzende Anmerkungen.

Doctor kennt den amerikanischen Medienmarkt wie kein zweiter, vor allem aber nähert er sich jedem Thema unvoreingenommen und ohne Arbeitshypothesen. Heraus kommen dadurch bestechend klare Analysen. Aus Doctors Sicht ist der Verkauf nur der nächste logische Schritt in der Entwicklung der New York Times zu einem weltweit tätigen Digitalunternehmen, das seinen Heimatmärkten entwachsen ist. Regionale Bindungen wie an Boston würden das Management nur ablenken und wertvolles Kapital binden, schreibt Doctor.

Man versetze sich, um das nachzuvollziehen, in die Lage der Times-Eigentümer und ihres neuen Geschäftsführers Mark Thompson, ehemals Chef der BBC.

Kauf vor 20 Jahren für über eine Milliarde Dollar

Vor genau 20 Jahren hatte die Firma in einer der teuersten Übernahmen der US-Zeitungsgeschichte 1,1 Milliarden Dollar für den Boston Globe gezahlt. Was folgte, war die Geschichte einer erheblichen Kapitalvernichtung. Mit dem Aufstieg des Internets verlor der Globe kontinuierlich an Auflage und Umsatz, fand aber keinen Weg, diese Verluste im Netz zu kompensieren. Anders als die New York Times setzte sich der Globe nicht an die Spitze der Bewegung und verlor so kontinuierlich an Terrain, wiewohl er journalistisch nach wie vor gute bis glänzende Leistungen hervorbrachte – allseits sichtbar zum Beispiel während des Bombenanschlags von Boston.

Doctor schätzt das Ergebnis der operativen Geschäftstätigkeit der NYT-Tochter New England Media Group, die ihrerseits vom Boston Globe dominiert wird, auf rund 20 Millionen Dollar. Dem damaligen Kaufpreis von 1,1 Milliarden stand zuletzt also nur noch ein Ergebnis von 20 Millionen Dollar gegenüber. Inflation nicht mit eingerechnet, entspricht das einer äußerst unbefriedigenden Kapitalverzinsung von weniger als zwei Prozent. Eigentümer und Management haben es also – rein finanziell gesehen – mit einer Art Totalausfall und Vollabschreibung zu tun.

Ständig sinkende Bewertungen

Gleichzeitig und mit noch gravierenderen Folgen für die New York Times sank der Bewertungsfaktor, den Kapitalmarkt und potentielle Käufer von Zeitungsunternehmen auf dieses gesunkene Ergebnis anwenden. In den besten Jahren der US-Zeitungen konnte man Blätter zum 10- oder 20fachen des Jahresgewinns, manchmal sogar noch teurer verkaufen. Heute hingegen darf man sich in den USA glücklich schätzen, wenn man, wie jetzt beim Boston Globe, das 4- bis 5fache des Jahresgewinns geboten bekommt.

Die gesunkenen Bewertungsfaktoren drücken unbarmherzig die sinkenden Umsatz- und Gewinnzahlen aus. Niemand denkt sich solche Bewertungsziffern willkürlich aus. Sie ergeben sich fast von allein, wenn man die unerfreulichen Prognosen in Excel-Tabellen eingibt und die Formeln der Finanzmathematik walten lassen.

Schlimmer noch: Die Bewertungsfaktoren sind nicht nur gesunken, sondern sie sinken noch weiter, da sich die Ergebnisse vieler amerikanischer Zeitungen weiter verschlechtern. Da die New York Times selber an der Börse notiert ist, schlug die pessismistische Bewertung des Boston Globe auf ihre eigene Bewertung durch.

Wenig Geld, aber mehr als in ein paar Jahren

Mit dem Verkauf erlöst die Times jetzt zwar nur ein Zehntel des damaligen Kaufpreises, aber immerhin bekommt sie mehr Geld, als sie in ein paar Jahren bekommen würde. Wenn sie dieses Geld nun wie geplant in wachsendes Digitalgeschäft, zum Beispiel in ihre eigenen internationale Expansion investiert, erzielt sie damit wahrscheinlich höhere Umsatzrenditen. Vor allem aber wird dieser Gewinn mit einem höheren Faktor bewertet werden. Wieder ist es die unbestechliche Finanzmathematik, die besagt: Wachsende Geschäfte sind pro Dollar Gewinn deutlich mehr wert als schrumpfende. Damit tauscht die New York Times also niedrig bewerteten Gewinn in höher bewerteten um.

Aus Sicht von Eigentümern und Management war der Verkauf damit eigentlich alternativlos, auch wenn er mit dem Offenlegen eines über 90prozentigen Wertverlusts der Beteiligung einhergeht – was in der Bilanz aber wohl ohnehin durch Abschreibungen vorweg genommen worden war und niemanden mehr überrascht hat.

Wo bleibt der unabhängige Journalismus?

Wo bleibt bei all diesen Finanzüberlegungen der unabhängige Journalismus? Man sollte dem neuen Eigentümer John W. Henry bis zum Beweis des Gegenteils die Chance geben, sich als würdiger Verleger zu erweisen. Dass er die örtliche Baseball-Mannschaft besitzt, macht ihn nicht automatisch zu einem Eigentümer, der seine Medien benutzt, um anderen Geschäftsinteressen auf die Sprünge zu helfen. Es gab schon andere Unternehmer, die redaktionelle Unabhängigkeit zu wahren wussten. Gleichwohl lässt sich nicht von der Hand weisen, dass an dieser Stelle für Redaktion und Leser ein Risiko entsteht, das es mit der New York Times als Eigentümerin nicht gab.

Eben darin besteht das Drama der amerikanischen Zeitungskrise: Diejenigen Verlage, die wie die New York Times radikal auf das Internet gesetzt haben und dort erfolgreich sind, können es sich nicht mehr leisten, diejenigen Medien zu besitzen, die nicht ganz so schnell mitgekommen sind. An die Stelle von Verlegern treten Unternehmer, die mehr als nur verlegerische Interessen haben. Mit ungewissem Ausgang, ob die redaktionelle Unabhängigkeit wirklich gewahrt bleibt.



 

29 Kommentare

 
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