Die Tagesschau als elektronische Zeitung



von Christoph Keese

Bei der ARD-Intendantentagung in Würzburg hat Vorsitzende Monika Piel die Tagesschau-App erneut gegen die Kritik der Verlage verteidigt. „Das Angebot ist definitiv nicht presseähnlich, sondern programm- und sendungsbegleitend“, zitierte der Nachrichtendienst Frau Piel am 28. Juni 2011. Man habe die Tagesschau-App dem Drei-Stufen-Text unterzogen, den sie bestanden habe. „Die App liefert auf einen Knopfdruck nur das, was ohnehin auf Tagesschau.de steht“, sagte Piel. Dies sei kein Presseererzeugnis, sondern vor allem Video- und Audiomaterial. „Dies ist unsere Kernkompetenz.“

Monika Piel ist eine hoch geschätzte Intendantin, die beim WDR und in der ARD ausgezeichnete Arbeit leistet. Auch im Verhältnis mit den Verlagen setzte sie sich immer für Ausgleich und gegenseitiges Verständnis ein. Sie gehörte stets zu jenen, die den Dialog pflegen und ein offenes Ohr für gute Argumente haben. Das gilt für die Vergangenheit und wird zweifellos auch in der Zukunft so sein. Dennoch sollte die zentrale Aussage, die sie in Würzburg gemacht hat, einem kritischen Vergleich mit der journalistischen Wirklichkeit bei Tagesschau.de unterzogen werden. Denn Tagesschau.de liefert weitaus mehr als Videos- und Audiomaterial. Es ist eine fast vollwertige elektronische Zeitung.

Lassen wir an dieser Stelle unerwähnt, dass der Hinweis auf den Drei-Stufen-Text, den die Tagesschau-App angeblich bestanden haben soll, so nicht zutrifft. Vielleicht ist Frau Piel von epd hier falsch zitiert worden. ARD und NDR haben ganz bewusst auf den Drei-Stufen-Test für die App verzichtet. Im Antrag auf Genehmigung der Website Tagesschau.de ist von der App keine Rede. Folgende Meldung des Tagesspiegels vom 13.2.2010 fasst die damalige Nachrichtenlage zusammen:

„Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) hat tagesschau.de zu einem entscheidenden Schritt nach vorn verholfen. Der NDR-Rundfunkrat befürwortete in dem zur Genehmigung notwendigen Drei-Stufen-Test, das Onlineangebot ohne Einschränkungen zu genehmigen. Der Rundfunkrat vertrat in der am Freitag bekannt gewordenen Beschlussvorlage vom 4. Dezember 2009 die Auffassung, dass „der qualitative publizistische Beitrag von tagesschau.de die negativen Auswirkungen auf die Wettbewerber deutlich überwiegt“. Denn sollte tagesschau.de eingestellt werden, könnten die kommerziellen Nachrichtenportale ihre Werbeerlöse lediglich um 3,9 Prozent steigern. Der NDR-Rundfunkrat empfiehlt , das Angebot als „nichtsendungsbezogenes Telemedium“ zu genehmigen, es wäre damit von vielen Einschränkungen durch den Rundfunkstaatsvertrag befreit. Über die umstrittenen Tagesschau-Apps für Smartphones wird nichts gesagt. Alle öffentlich-rechtlichen Onlineangebote müssen laut 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag bis zum 31. August 2010 dem Drei-Stufen-Test unterzogen werden.“

Aber lassen wir das beiseite und konzentrieren uns auf Tagesschau.de.

Am 21. Juni gaben acht Verlage bekannt, dass sie gegen die ARD und NDR klagen. Tagesschau.de hat das auf der Website sofort gemeldet. Ausweislich des Online-Archivs stand der Artikel „Verleger klagen gegen Tagesschau-App“ um 16:12 Uhr als Text im Netz. Über den Fall berichtete die Tagesschau im Fernsehen in ihrer 17-Uhr-Ausgabe. Das Online-Archiv gibt die Speicherung des Videos mit 17:18 Uhr an. Hier der Screenshot des Archivs:

Schon dieser kleine Fall zeigt, dass die Website das Publikum vor der Fernsehsendung informierte, und zwar mit einem ausführlichen Bericht von Willi Schlichting (WDR). Wie aber kann es sein, dass Tagesschau.de nur programm- und sendungsbegleitend arbeitet, wenn diese Begleitung schon lange vor der Sendung erscheint? Es scheint doch vielmehr so zu sein, dass die Redaktion von Tagesschau.de alles daran setzt, ihr Publikum so schnell und gut wie möglich über wichtige Ereignisse zu informieren. Sie gibt eine elektronische Zeitung heraus.

„Die Tagesschau im Netz ist ein Dienst am Bürger“, schreibt Kai Gniffke, Erster Chefredakteur von ARD-aktuell im Handelsblatt. Er betont, dass die Tagesschau-App nichts anderes tue, als Tagesschau.de in eine App zu übertragen. „Wer gegen die Texte auf der Tagesschau-App klagt, klagt im Kern gegen Tagesschau.de. Sie klagen gegen die Zukunftschancen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Deshalb muss die Gesellschaft entscheiden, ob sie sich eine Tagesschau leisten möchte, die auch in Zukunft Massen erreicht und solche informiert.“ Kai Gniffke stellt anders als die ARD-Vorsitzende nicht streitig, dass Tagesschau.de textbetont arbeitet. Er tritt offen dafür ein, dass der Tagesschau dies im Netz gestattet sein müsse und wirbt für einen entsprechenden gesellschaftlichen Konsens. Das ist sympathisch und ehrt ihn. Darüber kann und muss man reden – für die Zukunft. In der Gegenwart aber ist es der Tagesschau untersagt, elektronische Presse zu veranstalten. Die Gesetzeslage dazu ist eindeutig (siehe dazu den Blogeintrag „Warum Verlage gegen die ARD klagen“). Bezeichnenderweise geht Kai Gniffke in seinem Handelsblatt-Beitrag auf die Gesetzeslage nicht ein, denn sie spricht eindeutig gegen ihn. Es mag etwas nickelig klingen, wenn die Verlage auf das Gesetz pochen, während die Tagesschau einen gesellschaftlichen Konsens beschwört. Nickelig aber müssen die Verlage sein, weil der Dialog mit der ARD in den vergangenen Jahren keinen, aber auch nicht den allergeringsten Fortschritt gebracht hat. Mangels Entgegenkommen der ARD bleibt den Verlagen nur der Rückgriff auf das Gesetz, ganz gleich wie kritisch man dieses Gesetz in der ARD auch sehen mag.

Die Petitesse mit der frühen Verkündung der Verlagsklage vor der Sendung wäre der Rede nicht wert, wenn Tagesschau.de nicht bis zum Rand vollgeladen wäre mit Texten, die mit den konkreten Sendungen nichts zu tun haben und noch nicht einmal auf sie verweisen.

Nehmen wir als Beispiel den Abend des 29. Juni 2011. Die Homepage von Tagesschau.de sieht wie folgt aus:

Aufmacher ist Griechenland. Allein zu diesem Thema bietet Tagesschau.de allein an diesem Abend 40.000 Anschläge Text an, die nicht in den Fernsehsendungen erscheinen und auch gar nicht erscheinen könnten. Um diese Textmasse vorzulesen, würde ein Nachrichtensprecher gut und gern 30 Minuten benöitgen. Die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau ist aber nur 15 Minuten lang und die 30-minütigen Tagesthemen bestehen nicht nur aus dem Thema Griechenland.

Das Themenpaket beginnt mit einem langen Nachrichtentext, wie man auch bei Spiegel Online, WELT Online oder jedem beliebigen anderen Verlagsangebot finden würde:

Weg für neue Kredite an Griechenland frei

Papandreou bringt Sparpläne durch

Seit Wochen war über das Sparpaket der griechischen Regierung gestritten worden. Nun hat das Parlament den umstrittenen Maßnahmen zugestimmt – und damit einen Staatsbankrott Griechenlands zunächst abgewendet. Bei der namentlichen Abstimmung unterstützten 155 der 300 Abgeordneten das Paket mit Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen und Privatisierungen, 138 Abgeordnete votierten dagegen.

Das Votum wurde weltweit erleichtert aufgenommen. Der kommissarische Chef des Interationalen Währungsfonds (IWF), John Lipsky, und Bundeskanzlerin Angela Merkel sprachen von einer “guten Nachricht”. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärten, dass das hoch verschuldete Land mit der Entscheidung einen wichtigen Schritt vom Abgrund zurückgerissen worden sei. Mit der Zustimmung kam Griechenland der Forderungen der EU-Partner und des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach, die die Auszahlung weiterer Kredithilfen an Griechenland von der Verabschiedung des Sparprogramm abhängig gemacht hatten. Ohne die nächste Kredittranche in Höhe von zwölf Milliarden Euro wäre das Land in Kürze zahlungsunfähig.

Das beschlossene Sparpaket umfasst 78 Milliarden Euro. Aus Privatisierungen sollen 50 Milliarden Euro in die Staatskasse fließen. Um weitere 28 Milliarden Euro soll der Haushalt bis 2015 durch Steuererhöhungen und Einschnitte bei den Ausgaben entlastet werden. Die Vermögenssteuer soll ebenso steigen wie die Mehrwertsteuer für Restaurants und Bars sowie für alkoholfreie Getränke und Erdgas. Auch die Luxusabgaben für Jachten, Schwimmbecken und Autos werden den Plänen zufolge angehoben. Eine Erhöhung der Kfz-Steuer soll in diesem Jahr 100 Millionen Euro bringen, eine Finanztransaktionssteuer weitere 100 Millionen Euro.

Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes und Freiberufler werden mit einem Solidaritätsbeitrag zur Kasse gebeten. 455 Millionen Euro will der Staat von seinen Bediensteten erheben, 100 Millionen von den Freiberuflern. Aber auch “alle Einzelpersonen” sollen in diesem Jahr 400 Millionen und in den folgenden Jahren 1,4 Milliarden Euro “Soli” zahlen.

Einschnitte bei Gesundheits- und Sozialausgaben

Einsparungen betreffen den öffentlichen Dienst. Zuschläge sollen gestrichen, die meisten frei werdenden Stellen nicht wieder besetzt und jede zweite befristete Stelle nicht verlängert werden. Im Gegenzug soll die Arbeitszeit von 37,5 auf 40 Wochenstunden verlängert werden. Milliardenkürzungen treffen zudem den Gesundheits- und Sozialbereich. Dabei geht es unter anderem um die Kostenübernahme und Preisgestaltung bei Medikamenten. Die Grundrenten werden eingefroren. Die zusätzlichen Altersversorgungssysteme werden angepasst und ebenfalls eingefroren. Weitere Einschnitte treffen unter anderem die Ausgaben für die Landesverteidigung.

Papandreou warb vor der Abstimmung eindringlich um Unterstützung.

Griechenlands Ministerpräsident Georgios Papandreou und seine Regierung hatten vor der Abstimmung vor allem in den Reihen der Regierungsmehrheit um Unterstützung für die Sparpläne geworben. “Wir haben die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: zwischen einem schwierigen Weg des Wandels und der Katastrophe”, sagte Papandreou. Die Regierung habe sich für den Wandel entschieden. Finanzminister Evangelos Venizelos bezeichnete die Verabschiedung des Sparprogramms als patriotische Pflicht. “Wir müssen Zeit gewinnen, damit unser Land nicht Schritt für Schritt in ein Protektorat verwandelt wird”, sagte er. Endgültig in Kraft treten kann das Paket erst mit der Verabschiedung eines Durchführungsgesetzes, das am Donnerstag auf der Tagesordnung des Parlaments steht.

Weiter geht es mit einem umfangreichen Katalog von Fragen und Antworten, die ebenfalls niemals in der Fernsehsendung erschienen sind:

Was fordern EU, EZB und IWF?

Die Vereinbarung mit Griechenland lautet: Steuereinnahmen erhöhen, Staatsausgaben reduzieren und den Haushalt sanieren. Die Staatsschulden belaufen sich momentan auf 330 Milliarden Euro. Ohne Kredite wäre der Staat nicht in der Lage, Renten und Gehälter zu zahlen. Weil die Ratingagenturen Griechenland als nicht kreditwürdig eingestuft haben ist das Land nicht in der Lage, frisches Geld auf den internationalen Finanzmärkten zu leihen.

Was ist das Ziel der Sparbemühungen?

Ziel ist es, das Haushaltsdefizit bis 2014 auf 2,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu verringern. 2009 lag das Defizit noch bei 15,4 Prozent. Durch das erste Sparpaket konnte die Regierung dieses 2010 auf 10,5 Prozent drücken. Für 2011 werden 7,5 Prozent angestrebt. Erlaubt sind in der Euro-Zone allerdings nur drei Prozent.

Wie sieht das neue Sparpaket aus?

Athen muss jetzt rasch ein neues Spar- und Reformprogramm auf den Weg bringen. Bis Ende 2011 sollen 6,4 Milliarden Euro eingespart werden, bis 2015 dann weitere 22 Milliarden. Im öffentlichen Dienst will die Regierung Löhne und Gehälter um 800 Millionen Euro im laufenden Jahr kürzen, in den folgenden drei Jahren muss weiter gespart, aber weniger. Erreicht werden soll das vor allem durch einen beschleunigten Arbeitsplatzabbau. Auch die Ausgaben im Gesundheitssystem sollen in den kommenden Jahren gekürzt werden. In diesem Jahr um 310 Millionen Euro. Durch den Verkauf von Staatseigentum soll zusätzlich Geld in die Staatskasse kommen. Das griechische Staatsvermögen wird von Experten auf 300 Milliarden Euro geschätzt. Durch den Verkauf von Anteilen an etwa 30 staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen, sowie Grundstücken und Immobilien sollen bis Ende 2015 50 Milliarden Euro eingenommen werden. Darum kümmern soll sich eine unabhängige Privatisierungsbehörde – unter Aufsicht der EU.

Welche Sparmaßnahmen gibt es bereits?

Griechenland hat bereits im März 2010 ein erstes Sparpaket verabschiedet. Das Programm beinhaltet unter anderem folgende Maßnahmen:

Steuererhöhung: Die Athener Regierung hat die Mehrwertsteuer auf 23 Prozent erhöht. Raufgesetzt wurde auch die Luxussteuer, sowie die Mineralölsteuer. Eine Krisen-Sondersteuer wurde für Unternehmen eingeführt. Steuern auf Haus-und Grundbesitz sind ebenfalls gestiegen.

Staatsgehälter: Die Beamtengehälter wurden gekappt, Zulagen gestrichen, frei werdende Stellen nicht neu besetzt. So soll der Beamtenapparat abgebaut werden. In Griechenland arbeiten knapp ein Fünftel der Menschen für den Staat. Zum Vergleich: In Deutschland sind etwa 11 Prozent der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst beschäftigt. Die Arbeitszeit in öffentlichen Einrichtungen soll in Griechenland jetzt von 37,5 auf 40 Stunden erhöht werden.

Rentenalter: Das Rentenalter für Frauen wurde von 60 auf 65 Jahre heraufgesetzt. Erst ab 40 Jahren Berufstätigkeit gilt keine Altersbeschränkung. Vorher waren es 37 Jahre. Renten wurden gekürzt.

Privatisierung von Staatseigentum: Der Verkauf von Staatseigentum hat bereits begonnen. So hat die Deutsche Telekom Anfang Juni weitere Anteile an der griechischen Telefongesellschaft OTE für rund 400 Millionen Euro übernommen. Die Regierung plant den Verkauf von weiteren staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen.

Welche Auswirkungen hat das Sparpaket auf die Wirtschaft?

Höhere Steuern und weniger Staatsausgaben verschärfen die ohnehin schon schlechte wirtschaftliche Lage. Die Wirtschaftsleistung in Griechenland schrumpft entsprechend – im vergangenen Jahr um 4,5 Prozent. Auch für 2011 gehen EU, EZB und IWF von einem weiteren Rückgang des Bruttoinlandsprodukts aus. Frühestens 2012 könnte die Wirtschaft wieder wachsen.

Und auf das Leben der Griechen?

Die Arbeitslosigkeit ist stark gestiegen. Die Arbeitslosenquote lag im ersten Quartal dieses Jahres bei 15,9 Prozent. Ein Anstieg von 4,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Fast die Hälfte der Arbeitsfähigen unter 35 Jahren hat keinen Job. Viele Griechen müssen seit dem Sparprogramm mit weniger Geld auskommen. Das Leben ist zeitgleich erheblich teurer geworden. So kostet Benzin etwa 50 Prozent mehr als vor einem Jahr, ein Liter Super liegt momentan bei etwa 1,65 Euro. Die Preisteuerungsrate lag im April bei 3,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. In Deutschland lag sie bei 2,7 Prozent. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen lag in Deutschland 2009 bei 34.500 US$, in Griechenland bei 31.000 US$.

Bei den Fragen und Antworten könnte die ARD noch argumentieren, es handele sich um Hintergrundmaterial zu einem Themengebiet, das derzeit in vielen Tagesschau-Sendungen vorkomme und daher seine Berechtigung habe. Aber wie sieht es aus mit folgendem Interview, das im Themenpaket zu Griechenland angeboten wird? In der Autorenzeile am Ende steht wörtlich: „Die Fragen stellte Stefan Keilmann, tagesschau.de“. Dieses geschriebene Interview mit dem Börsenexperten Dirk Müller wurde exklusiv und aktuell nur für Tagesschau.de geführt – nichts anderes machen Zeitungen auf ihren Webseiten:

Interview zur Krise in Griechenland

„Das Geld ist sowieso weg“

Gebannt starrten heute die Börsen auf Griechenlands Parlament, trotz der geringen Wirtschaftsleistung des Landes: Das zeigt, wie groß das Misstrauen gegen den Euro ist. Dabei ist klar, dass es einen klaren Schuldenschnitt geben wird, sagt Börsenexperte Dirk Müller.

tagesschau.de: Im griechischen Parlament wurde heute das neue Sparpaket von Ministerpräsident Giorgos Papandreou verabschiedet. Wird das die internationalen Finanzmärkte beruhigen?

Dirk Müller: Die Märkte hatten bereits fest darauf gesetzt, dass der Sparkurs abgesegnet wird. Die griechischen Parlamentarier mussten schon im eigenen Interesse dafür stimmen, sonst hätten sie sich ja gleich einen neuen Job suchen können. Aber die große Frage ist natürlich: Was bringt das Ganze noch? Wird damit noch irgendein Problem gelöst? Nein, es wird nur in die Zukunft verschoben und es ist noch nicht einmal klar, wie lange die Probleme noch vertagt werden können.

tagesschau.de: Wie meinen Sie das?

Müller: Das hat doch längst absolut groteske Züge angenommen: Die weltweiten Börsen von Tokio über Hongkong und Europa bis in die USA starren ganz gebannt auf die Abstimmung im kleinen Griechenland, in dem nur 0,2 Prozent der Weltbevölkerung leben und was gerade einmal die Wirtschaftsleistung von Hessen hat. Das zeigt doch, dass es hier längst nicht mehr nur um ein Land, sondern um den Euro als Ganzes geht – und dessen Zukunft wird nicht in Athen geregelt werden.

tagesschau.de: Sie haben jüngst gesagt, dass das weitere Zahlen von Steuergeldern an Griechenland “an Veruntreuung grenzt”, wie meinen Sie das?

Müller: Es ist doch jedem namhaften Experten klar, dass das Land diese Kredite niemals zurückzahlen wird. Wie denn auch? In dieser jetzt so verfahrenen Situation wird es auf eine teilweise Umschuldung oder einen klaren Schuldenschnitt – einen sogenannten Haircut – hinauslaufen. Und dennoch wollen wir jetzt noch einmal Geld nachschießen, ich finde, dass das Ganze schon einmal überprüft werden müsste.

tagesschau.de: Wie hätte den verhindert werden könne, dass es so weit kommt?

Müller: Vor einem Jahr hätte es noch Alternativen gegeben: eine komplette Abschirmung Griechenlands. Die Europäische Union hätte damals uneingeschränkt für die Anleihen des Landes garantieren müssen. Damit wären die Spekulationen aus dem Markt gewesen und die EU hätte das auch ohne Probleme stemmen können. Parallel hätte man einen kompletten “Umbauplan” für Griechenland aufstellen müssen, vergleichbar dem Marshall-Plan. Also eine umfassende Strategie, die dem Land zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell verhilft, angelegt auf zehn oder 15 Jahre. Die lange Laufzeit hätte geholfen, dass sich die Industrie, aber auch die Menschen darauf einstellen können. Diese Chance wurde aber vertan. Stattdessen haben wir das Land gezwungen, sich in die Katastrophe zu sparen. Jetzt ist klar: Es muss einen klaren Schuldenschnitt geben.

tagesschau.de: Wie würde das ablaufen?

Müller: Griechenland müsste raus aus dem Euro, abwerten und seine Schulden zumindest zum Teil streichen. Das wäre natürlich nicht einfach, danach hätte das Land dann aber die Chanche, sich neu zu erfinden: Es könnt sich mit Hilfe der abgewerteten eigenen Währung wieder auf seine Stärken besinnen, die vor allem im Dienstleistungsbereich wie dem Tourismus liegen. Schließlich entsprechen die griechischen Exporte gerade einmal sechs Prozent der Wirtschaftsleistung! Mit einer niedrigen Währung, die der tatsächlichen Wirtschaftsleistung entspricht, würde es sich auch wieder lohnen in Griechenland Urlaub zu machen. Ganz im Gegensatz zu heute – denn momentan sind andere Länder deutlich billiger, was natürlich auch mehr Touristen anzieht. Zudem müsste die Verwaltung und Wirtschaft des Landes umgekrempelt werden.

tagesschau.de: Das klingt so einfach. T atsächlich lässt sich doch nur schwer abschätzen, was passieren würde, wenn wir den Euro, also die Währungsunion einfach aufgeben?

Müller: Das lässt sich natürlich nicht vollkommen abschätzen. Aber momentan versuchen wir alles, um ein System zusammen zu halten, das sich so nicht zusammenhalten lässt. Stattdessen könnten wir das Geld auch dazu verwenden, um Verwerfungen nach einer Reform abzufangen: Damit könnten beispielsweise Banken in dieser schwierigen Phase rekapitalisiert werden – wie wir es mit der Commerzbank in der Finanzkrise gemacht haben. So könnten dann auch die Zahlungsströme aufrecht erhalten werden. Ich denke, dass da das Geld viel besser aufgehoben wäre, als – was wir jetzt gerade machen – es in einem Fass ohne Boden zu versenken.

tagesschau.de: Allein die EZB hält ja mittlerweile Griechenland-Papiere in zweistelliger Milliardenhöhe. Für diese müsste bei einem Schuldenschnitt letztendlich auch der Steuerzahler geradestehen?

Müller: Das ist ohnehin schon der Fall, weil wir unsere privaten Banken in den vergangenen Monaten weitgehend aus dem Risiko entlassen haben. Das was wirklich noch bei deutschen Banken liegt, betrifft doch die Hypo Real Estate oder die KfW, also Finanzinstitute, für die auch wiederum der Steuerzahler geradesteht. Die Bürger müssen so oder so zahlen, aber wenn wir jetzt noch weitere Krediten draufpacken, dann wird er diese letztendlich auch noch zahlen müssen. Die Frage ist nicht ob, sondern wann und wieviel – das Geld ist eh weg.

tagesschau.de: Sie kennen die Börse, wie kommt dort der Zickzack-Kurs – insbesondere der deutschen – Politik an?

Müller: Das nimmt doch keiner mehr ernst! Das kann man einfach nicht mehr ernst nehmen: Das sind Getriebene, die gar nicht wissen, was sie da eigentlich machen. Es ist natürlich eine schwierige Situation, die sich nur schwer abschätzen lässt, aber es kann doch nicht sein, dass sich die Politik die Konzepte von denen schreiben lässt, die sie stattdessen lieber in die Pflicht nehmen sollte. Dann muss man sich nicht mehr wundern, wenn abenteuerliche Dinge dabei rauskommen.

tagesschau.de: Wie beurteilen Sie die Rolle der Rating-Agenturen?

Müller: Ich glaube “skandalös” wäre noch eine maßlose Untertreibung. Es ist ein Unding, was da passiert! Ich kann einfach nicht verstehen, wieso sich die Europäische Zentralbank mit all ihrem Fachwissen und den Experten bei ihren Entscheidungen von privaten US-Firmen abhängig macht. Das kann mir niemand erklären. Die Ratingagenturen verfolgen schließlich sowohl eigene Interessen, als auch Interessen der USA.

tagesschau.de: Was können wir aus der Griechenland-Krise lernen?

Müller: Darüber ließen sich viele Bücher schreiben: Zunächst einmal müssten wir massiv die Spekulationen aus dem Markt nehmen, die Macht der Ratingagenturen muss gebrochen werden. Zudem müssen wir einsehen, dass die Währungsunion in ihrer jetzigen Form nicht funktionieren kann. Wir müssen das System ohnehin neu aufstellen weil die Verschuldung eine Grenze erreicht hat, die nicht mehr tragfähig ist. Das gilt nicht nur für Griechenland, sondern für sämtliche OECD-Staaten. Wir sind an einem Punkt angelangt, in dem wir von einer Blase zur nächsten Blase hechten. Es muss einfach mal wieder eine Umverteilung von oben nach unten geben. Dass das alle paar Jahrzehnte passieren muss, liegt in der Natur unseres Wirtschaftssystems.

tagesschau.de: Könnte Eurobonds eine Lösung sein, damit künftig weniger gegen einzelne Staaten spekuliert wird?

Müller: Das wäre nur bei zwei Varianten sinnvoll: Eine wäre eine echte Transferunion, also so etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa. In ihr müssten die erheblichen wirtschaftlichen Unterschiede durch direkte Transferzahlungen ausgeglichen werden. Das wäre dann mit dem Länderfinanzausgleich in Deutschland vergleichbar, wo ja auch beispielsweise Baden-Württemberg an das schwächere Saarland zahlt. Wir müssten uns aber bereit erklären, jedes Jahr Milliardenbeträge an Länder wie Griechenland zu zahlen, damit diese Länder mithalten können. Die andere Variante wäre eine Verkleinerung der Eurozone auf die wirtschaftlich starken Staaten, die dann eine Art “Nord-Euro” hätte.

tagesschau.de: Welche Staaten sollten Ihrer Meinung nach bei diesem Modell dabei sein?

Müller: Die wirtschaftlich starken Länder der Eurozone, also neben Deutschland Frankreich, Österreich die Benelux-Staaten und Finnland. Damit würde dann die neue Währung für Länder gelten, die halbwegs auf vergleichbarer Leistungsfähigkeit arbeiten und die sich daher auch viel enger abstimmen können. Das wäre eine superstarke Weltwährung. Unterdessen könnten die anderen Länder der bisherigen Eurozone ihre eigenen Währungen wieder einführen und abwerten, sodass sie ihr Geschäftsmodell wieder aufbauen können. Denn egal wohin wir gucken, ob nach Griechenland, Irland, Portugal oder Spanien – diese Länder haben derzeit einfach kein Geschäftsmodell – zumindest nicht auf dieser hohen Euro-Basis.

tagesschau.de: Was glauben Sie wie es mit dem Euro weitergeht?

Müller: Meine Hoffnung wäre, dass wir einmal zu so etwas wie den Vereinigten Staaten von Europa kommen – mit einer gemeinsamen Währung. Allerdings müssten diese wesentlich demokratischer aufgestellt sein als die europäische Union in ihrer heutigen Form. Aber meine realistische Einschätzung – die eine eher optimistische ist – lautet, dass es auf den von mir beschriebenen “Nord-Euro” hinauslaufen wird.

Die Fragen stellte Stefan Keilmann, tagesschau.de

Verzeihung an alle Leser, die sich bis hierhin durchscrollt haben – diese langen Zitate sprengen ohne Frage den Rahmen eines Blogs. Aber sie sprengen eben auch Tagesschau.de. Im Themenpaket folgt noch ein weiteres langes Interview mit dem ARD-Reporter Rolf-Dieter Krause, geführt exklusiv für Tagesschau.de von Silvia Stöber. Diesen Text überspringen wir hier und gehen gleich zu einem Unterthemenpaket zur Macht der Ratingagenturen, das mit einem geschriebenen Beitrag von Oliver Feldforth vom Hessischen Rundfunk beginnt:

Die Macht der Ratingagenturen

Noten, die Staaten ins Wanken bringen

Sie hatten bereits mit weiteren Abwertungen gedroht, wenn Griechenland den Sparkurs ablehnt: Die großen US-Ratingagenturen Fitch, Standard & Poors und Moody‘s. Sie sind erfolgreich, mächtig und dabei doch verschwiegen, wenn es um ihre Arbeitsmethoden geht.

Von Oliver Feldforth, HR

Drei große Agenturen teilen sich den Markt für Ratings auf, an ihnen kommt keiner vorbei. Etwas seltsame Namen stehen über ihren Türen: Fitch Ratings, Standard & Poors (S&P) und Moody‘s. Es sind die Namen der Gründer: So heißt Moody‘s nach John Moody, der das Unternehmen mit Sitz in New York 1909 aufgebaut hat. Sie kontrollieren ungefähr neunzig Prozent des Marktes, bewerten die Kreditwürdigkeit, also die Bonität von Firmen, aber auch von Staaten.

Obwohl sie selbst privatwirtschaftliche Firmen sind, ist ihr Rating von großer Bedeutung. Geschäfts- und Notenbanken, aber auch Investoren schauen sehr genau auf den merkwürdigen Buchstabencode, den Ratingagenturen vergeben. “Aaa” bekommt ein finanziell stabiler Schuldner von höchster Qualität. Deutschland ist mit diesem Rating in der Lage, Geld für vergleichsweise niedrige Zinsen aufzunehmen. Ab “Ba” wird von einem Investment abgeraten.

Griechenland wird von den S & P Experten nur noch mit “CCC” bewertet. Die Begründung: Eine Umschuldung, und damit natürlich formal ein Zahlungsausfall, wird aus Rating-Sicht immer wahrscheinlicher. Darunter liegt nur noch “D” für “default” – das bedeutet Ausfall.

Um Informationen zu bekommen, reisen Teams der Ratingfirmen zu den Unternehmen beziehungsweise zu den Regierungen der Staaten. Sie prüfen die Bücher und halten auch kontinuierlich den Kontakt. Wie genau sie zu Ihren Bewertungen kommen, daraus machen die Rating-Multis jedoch ein großes Geheimnis. Deswegen fordert Dennis Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, dass sie ihre Rechenmodelle offenlegen, damit die Grundlagen ihrer Entscheidung transparent werden.

Das Rating hat Auswirkungen: So zwingen gesetzliche Vorschriften Investmentfonds Staatsanleihen zu verkaufen, wenn die Bewertung auf Ramschniveau fällt. “Obwohl es sich bei Ratingagenturen um gewinnorientierte Unternehmen handelt, kommt zu ihrer faktischen Bedeutung am Kapitalmarkt auch ein zwingende aufsichtsrechtliche Funktion”, so die Einschätzung der Rechtsanwälte Gerhard Wildmoser und Jan Schiffer in der Zeitschrift “Recht in der internationalen Wirtschaft”. Dies gibt den Ratingagenturen mehr Gewicht.

Drei große US-Agenturen dominieren der Rating-Markt.

Die Kritik an der Expertise der Agenturen bezieht sich auf die Finanzkrise. Als der amerikanische Immobilienmarkt 2008 zusammenbrach, hatten die Ratings nicht vor US-Hypothekenanleihen gewarnt. Inzwischen sprechen auch Einzelne aus den Ratingagenturen hinter vorgehaltener Hand davon, dass sie die Warnsignale damals nicht erkannt hätten. “Sie haben total versagt bei der Immobilienkrise”, sagt Wirtschaftswissenschaftler Snower: “Ja, sie haben dazu beigetragen.” Negativ sei auch, so Kritiker, dass das Rating vom bewerteten Unternehmen beziehungsweise Staat selbst bezahlt wird. Das schaffe Abhängigkeiten.

Europäische Agenturen als Gegengewicht?

Damit das Versagen einzelner Agenturen nicht mehr so gravierende Auswirkungen hat, fordern viele Ökonomen mehr Wettbewerb um die Dienstleistung Kreditwürdigkeits-Bewertung. Die Unternehmensberatung Roland Berger möchte, dass die Banken und Versicherungen eine europäische Ratingagentur gründen. “Mit etwas Glück können wir in sechs bis zwölf Monaten mit dem Aufbau beginnen”, so Markus Krall, Partner bei Roland Berger. Die Unternehmensberatung ist sehr gut mit der deutschen Politik vernetzt. Und so überrascht es nicht, dass auch deutsche Politiker wie FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle, aber auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, sich eine solche europäische Agentur wünschen.

Aber wollen sie wirklich eine europäische Agentur als Gegengewicht zu den drei amerikanischen Platzhirschen, oder wollen sie nur mehr Einfluss auf das Bewertungsergebnis? Eine Stiftung soll die Unabhängigkeit gewährleisten. Genau diese Unabhängigkeit ist wichtig, aber es bleibt die Unsicherheit, ob eine solche Stiftung dies garantiert.

Die Frage bei der momentanen Kritik an den Ratingagenturen ist: Wird da der Bote für die unerwünschte Nachricht bestraft? Gerade die Politiker wünschen sich nichts mehr, als positive Wirtschaftsnachrichten aus Griechenland. Und wenn die Rating-Firmen die nicht liefern können, sind sie dann am Ende die Bösen? So befürchtet denn auch Volker Wieland, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Frankfurt, “dass ein Hintergedanke bei der Förderung einer europäischen Ratingagentur ist, dass auf deren Ratings von staatlicher Seite leichter Einfluss genommen werden könnte”.

Mächtig aber verschwiegen – die großen Ratingagenturen lassen sich nicht in die Bücher gucken.

Tatsächlich gibt es übrigens schon europäische Ratingagenturern, sogar mehrere. So ist die Creditreform Rating AG seit Anfang Juni als Ratingagentur von der BaFin anerkannt. Doch diese ist relativ klein und konzentriert sich auf den Mittelstand. “Wir sind auf dem Weg von unten nach oben”, sagt Michael Bretz Leiter der Unternehmenskommunikation bei Creditreform: “Wir wollen auch große Unternehmen wie Siemens und auch Staaten bewerten, aber der Weg ist steinig und wird auch noch länger dauern.”

“So kann es nicht bleiben, die Ratingagenturen sind ein intransparentes Monopol, es fehlt der Wettbewerb um Dienstleistungen”, beklagt Wirtschaftswissenschaftler Snower. Doch Wettbewerb bedeutet nicht automatisch “weg von privatwirtschaftlichen Bewertungsfirmen”, zumal, wenn sie von einer staatlichen Institution wie der BaFin lizensiert werden. Mehr Konkurrenz und mehr Transparenz bei der Erstellung der Ratings – das würde helfen. Dann muss die Politik die Ergebnisse einer solchen unabhängigen Bewertung aber auch klaglos akzeptieren, egal ob sie in die politische Gemengelage passt oder nicht.

Weiter geht es zu Griechenland mit weiteren aktuellen Nachrichtentexten. Ein Beispiel:

Nach der Verabschiedung des Sparprogramms

Gewalt auf den Straßen nach dem Ja im Parlament

Die Lage in der griechischen Hauptstadt Athen hat sich weiter zugespitzt. Nachdem das griechische Parlament das Sparpaket gebilligt hatte, lieferten sich Hunderte Vermummte rund um den zentralen Syntagma-Platz gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei. Sie warfen Brandsätze auf mehrere Gebäude. Wie das griechische Fernsehen berichtete, mussten sieben Menschen von der Feuerwehr aus einem brennenden Haus gerettet werden.

Angriff auf Abgeordneten

Die Randalierer attackierten auch einen griechischen Abgeordneten, der vorher angekündigt hatte, gegen das Sparpaket zu votieren, dann aber doch seine Zustimmung gab. Alexandros Athanassiadis wurde beim Verlassen des Parlamentsgebäudes tätlich angegriffen. Mehrere Demonstranten versuchten, in das Parlament vorzudringen. Ein großes Polizeiaufgebot schirmte das Gebäude ab. Die Demonstranten errichteten ihrerseits Barrikaden, um die Polizisten abzuwehren. “Bullen, Schweine, Mörder” skandierte eine Menge. Auf einigen Spruchbändern wurde die Auflösung des Parlaments verlangt.

Die Polizei setzte große Mengen Tränengas ein, um die gewalttätigen Demonstranten vom Syntagma-Platz zu vertreiben. Mehr als 200 Menschen wurden nach Berichten griechischer Medien verletzt, unter ihnen auch 26 Polizisten. Die meisten von ihnen hätten Augen- und Atemwegsbeschwerden. 38 Menschen wurden nach Behördenangaben festgenommen.

Wegen der Ausschreitungen musste auch ein Luxushotel in der griechischen Hauptstadt evakuiert werden. “Alle unsere Kunden wurden in Sicherheit in anderen Hotels untergebracht”, sagte ein Sprecher des Hotels. Die Gäste des Hotels hätten die beißende Luft “nicht mehr ertragen” können, so ein Angestellter.

Randalierer zündeten Barrikaden an und warfen mit Brandsätzen.

Die Polizei ging mit Tränengas und Schlagstöcken gegen Gegner des Sparpakets vor.

Landesweiter Streik

Auch in anderen Städten des Landes demonstrierten Menschen gegen das Sparprogramm. Die Proteste wurden begleitet von einem landesweiten Streik. Den zweiten Tag hintereinander fielen Dutzende Flüge aus oder mussten verschoben werden. In Athen fuhren keine Züge und Busse. Fähren blieben in den Häfen, in den Krankenhäusern arbeiteten nur Notfallteams. Ministerien und staatliche Unternehmen sowie viele Banken wurden ebenfalls bestreikt. Die Fähren hatten eigentlich fahren sollen, aber Streikposten blockierten in Piräus und anderen Häfen die Anlegestellen, so dass die Schiffe nicht ablegen konnten.

Dies waren Ausschnitte aus den 40.000 Zeichen Text, die Tagesschau.de gestern Abend allein zum Thema Griechenland allein im Ressort Ausland geliefert hat. Es gibt zusätzlich noch die Ressorts Inland, Wirtschaft, Regional, Sport, Börse, Ratgeber, Wissen und Kultur. Das nichtsendungsbezogene Textangebot ist unüberschaubar und man würde Stunden brauchen, um es auszuzählen. Tagesschau.de ist nichts anderes als eine elektronische Zeitung angereichert mit gelegentlichen Links auf Videos, die vor allem in den Navigationsspalten links und rechts der Hauptspalte untergebracht sind, übrigens genau wie bei den Zeitungs-Webseiten. Chefredakteur Kai Gniffke fasst das Programm seiner Redaktion im Handelsblatt perfekt zusammen: „Zugleich möchten wir auch junge Menschen mit solide recherchierten Nachrichten versorgen und damit einen Beitrag zu seinem funktionierenden Gemeinwesen leisten. Genau dies ist unser Auftrag, den wir sehr ernst nehmen. Wir werden weiterhin das tun, was wir am besten können: relevante Nachrichten produzieren. Das erwarten die Millionen Menschen von uns, die der Tagesschau jeden Tag vertrauen.“

Nein, geschätzter Herr Gniffke, das ist nicht Ihr Auftrag.

Ihr Auftrag ist im Staatsvertrag wie folgt beschrieben:

„Nichtsendungsbezogene presseähnliche Angebote sind nicht zulässig“

Der Gesetzgeber hat diese Einschränkung in der amtlichen Begründung folgendermaßen erläutert:

„Mit dieser Vorschrift trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass für die Nutzung im Internet gestaltete Angebote regelmäßig aus einer von den Nutzern erwarteten Kombination verschiedener Elemente bestehen, die Text, Ton und Bild verbinden. Vor diesem Hintergrund soll der Tendenz begegnet werden, dass von Rundfunkanstalten angebotene nichtsendungsbezogene Telemedien den inhaltlich und gestalterischen Schwerpunkt in Texten setzen. Im Umkehrschluss kann ein solcher Schwerpunkt vermieden werden, wenn öffentlich-rechtliche nichtsendungsbezogene Telemedienangebote ihren Schwerpunkt in einer hörfunk- und/oder fernsehähnlichen Gestaltung haben.”

Als Hintergrundinformationen dürfen Sie laut Gesetz folgendes Material veröffentlichen:

„Angebote, die der Aufbereitung von Inhalten aus einer konkreten Sendung einschließlich Hintergrundinformationen dienen, soweit auf für die jeweilige Sendung genutzte Materialen und Quellen zurück gegriffen wird und dieses Angebote thematisch und inhaltlich die Sendung unterstützend vertiefen und begleiten, ohne jedoch bereits ein eigenständiges neues oder verändertes Angebot nach §11 f Abs. 3 darzustellen.”

Keine eigenständigen neuen oder veränderten Textangebote, und wenn, dann nur in enger thematischer Anbindung an die Sendung! Fast die gesamte Berichterstattung zu Griechenland verstößt gegen diese Auflage. Die Website ist mit Tausenden und Abertausenden von Textzeilen gefüllt, die nach dem Gesetz nicht zulässig sind.

Man könnte den Auftrag des Gesetzgebers auch ausdrücken wie Monika Piel:

„Das Angebot ist definitiv nicht presseähnlich, sondern programm- und sendungsbegleitend. Dies sei kein Presseererzeugnis, sondern vor allem Video- und Audiomaterial. Dies ist unsere Kernkompetenz.“

Zwischen dem gesetzlichen Auftrag und der Darstellung der ARD-Vorsitzenden auf der einen Seite und der gelebten Wirklichkeit von Tagesschau.de (und damit der Tagesschau-App) auf der anderen Seite klafft eine gewaltige Lücke. Um diese Lücke geht es den Verlagen.

Tagesschau.de ist eine elektronische Zeitung. Die ARD sollte so ehrlich sein, dies zuzugeben. Wenn sie das Gesetz ändern lassen möchte, sollte sie das offen bekennen. Bis dahin aber muss sie das Gesetz befolgen. Weil sie es nicht freiwillig tut, klagen die Verlage vor Gericht.



 

22 Kommentare

 
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    Das letzte Zitat bezieht sich übrigens auf die App, nicht auf die Webseite, sofern ich dies aus anderen Medien ablesen konnte (http://www.heise.de/mobil/meldung/ARD-Chefin-keilt-im-Streit-um-Tagesschau-App-zurueck-1269504.html).

    Zudem, wenn wie hier doch dargelegt werden kann, dass die Internetseite so nicht zulässig ist, warum klagt man dann nicht dagegen, sondern nur gegen die App, die diese Inhalte für die mobile Nutzung aufbereiten soll? Wäre es nicht sinnvoller, das “Übel” an der Wurzel zu packen?

     
     

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