Ist das Leistungsschutzrecht gescheitert und werfen die Verlage die Flinte ins Korn? Nein. Ganz im Gegenteil



Axel Springer hat Google nun auch für seine letzten vier Titel eine Gratislizenz eingeräumt. Heißt das, wir kapitulieren vor Google und geben das Leistungsschutzrecht verloren? Mitnichten. Die Gratislizenz ist ein Schritt in einer langen Auseinandersetzung. Der Fall geht jetzt vor die Gerichte. Dort gehört er hin, und dort kämpfen wir weiter. Zehn wichtige Fragen und Antworten zum Stand der Dinge.

Viele Kommentatoren bei Twitter und in Blogs haben vermutet, ich würde mich zum Thema Leistungsschutzrecht nicht mehr äußern und den Kopf einziehen. Sie behaupten, die Erteilung einer Gratislizenz für die letzten vier Springer-Titel (Welt, Computerbild, Autobild, Sportbild) stelle die endgültige Kapitulation vor Google dar und das Leistungsschutzrecht sei gescheitert. Dies habe nun auch Springer endlich erkannt. Es überwiegt ein hämischer Ton: „Haben wir es euch ja schon immer gesagt. Aber ihr wolltet ja nicht hören.“

Häme und Schadenfreude sind jedoch keine guten Ratgeber, wenn es um juristische Sachverhalte und Taktik in Zivilverfahren geht. Sie halten davon ab, sich intensiver mit der Materie zu beschäftigen und sich zu fragen, was – außer vermeintlicher Charakterlosigkeit – Springer denn dazu bewogen haben könnte, Gratislizenzen zu erteilen. Und was mich – außer Wegducken – persönlich dazu bringen könnte, nicht jeden Schritt unserer Taktik vorab bei Twitter anzukündigen oder hinterher zu kommentieren.

Was also ist geschehen und warum? Hier zehn wichtige Fragen und zehn Antworten.

Erstens: Warum hat die VG Media Gratislizenzen erteilt?

Weil damit Raum und Ruhe für das Zivilverfahren geschaffen werden. In der über hundertjährigen Geschichte der Verwertungsgesellschaften in Deutschland hat es noch kein neues Recht gegeben, das von denen, die bezahlen sollten, klaglos akzeptiert worden wäre. Es ist völlig normal, dass Rechte vor Gericht durchgesetzt werden müssen. Das gehört zum täglichen Brot von Verwertungsgesellschaften. Und es ist auch der Normallfall in einer gewaltenteiligen Demokratie: Die Legislative erlässt abstrakte Vorschriften in Form von allgemeinen Gesetzen, die Judikative urteilt sie aus.

Nachdem Verlage ihre Leistungsschutzrechte in die VG Media eingebracht hatten, hat die VG Media Google und anderen Suchmaschinen Verhandlungen angeboten. Die Verhandlungen sind gescheitert, noch bevor sie begonnen haben, da die Suchmaschinen – auch Google – die Gesprächstermine ausschlugen. Nach Recht und Gesetz ist jede VG verpflichtet, die Rechte ihrer Mandanten entschlossen wahrzunehmen. Wenn die Anspruchsgegner die Zahlung verweigern, bleibt einer Verwertungsgesellschaft nichts anderes übrig als die Klage.

Dem Verfahren vor normalen Zivilgerichten vorgeschaltet ist die Schiedsstelle des Patent- und Markenamtes in München. Dort hat die VG Media Klage erhoben. Im Laufe dieses Zivilverfahrens wird – vermutlich über mehrere Instanzen – entschieden, wie weit das Leistungsschutzrecht greift. Auch um die Frage, wie lang ein Snippet sein muss, um geschützt zu sein, wird es gehen. Eine schnelle abschließende Antwort wird es voraussichtlich nicht geben. Solche Verfahren dauern Jahre. Auch das ist Standard beim Durchsetzen von Rechten aus dem Urheberrrechtsgesetz. Dafür herrscht am Ende aber Klarheit.

Natürlich streiten die Parteien darüber, wie das Leistungsschutzrecht juristisch zu werten ist. Unabhängig davon, welche Meinung man dazu vertritt, muss man festhalten: Hier vertreten zwei Parteien unterschiedliche Rechtsauffassungen, und keine der beiden Parteien, noch Außenstehende, am allerwenigsten hämisch-aufgeregte Twitter-Kommentatoren, können beurteilen, zu welchem abschließenden Urteil Schiedsstelle und Richter in mehreren Instanzen kommen werden. Sicher ist nur: Der Gegenstand ist strittig.

Jeder Beobachter des Falls, der sich um einen klaren Blick auf die Dinge bemüht, kann keine andere Gewissheit haben als diese: dass die Sache strittig ist. Und dass die Richter mit Sicherheit mehr Sachverstand und Gedankenschärfe auf ihr Urteil verwenden werden, als Medienblogger, die ohne Kenntnis der Schriftsätze schon jetzt wissen, was heraus kommen wird. Jeder, der so etwas behauptet, hat mir etwas voraus. Ich weiß es nämlich nicht. Ich hege zwar eine gut begründete Hoffnung, aber von Gewissheit bin ich wie alle Protagonisten weit entfernt. Ein bisschen mehr Demut täte auch der Schwarmintelligenz der eilfertigen Medienkommentatoren gut.

Lassen wir für den Moment also gelten, dass wir es mit jener Ergebnisunsicherheit zu tun haben, wie sie jedem demokratischen Zivilverfahren innewohnen muss.

Was folgt dann daraus? Für Google folgt daraus, dass der Konzern sein Risiko, den Prozess zu verlieren, nach vorne heraus wirtschaftlich minimieren möchte, sprich: sich für die Zukunft aus jeder potentiellen Nutzungshandlung verabschiedet, bis der Prozess über die Nutzung der Vergangenheit (August 2013 bis Oktober 2014) entschieden ist und damit eine belastbare gerichtliche Entscheidung vorliegt. Vermutlich hat sich Google deswegen entschieden, den Verlagen eine Gratislizenz abzunötigen, mit allem wirtschaftlichen Nachdruck, der Google als Marktbeherrscher zu Gebote steht.

Und für die Verlage folgt daraus, dass sie für die Zukunft – solange das Verfahren läuft – möglichst wenig wirtschaftlichen Schaden aus dem Schwitzkasten hinnehmen möchten, den Google ihnen in der kraftvollen Umarmung eines zum Äußersten entschlossenen Marktbeherrschers angedeihen lässt.

Würden Verlage frei entscheiden, würden sie Google natürlich keine Gratislizenz erteilen. Doch sie können nicht frei entscheiden. Google presst ihnen durch Androhung eines empfindlichen Übels eine Gratislizenz ab. Der in Aussicht gestellte Schaden ist so groß, dass man ihn als verantwortungsbewusster Geschäftsführer nicht hinnehmen kann. Also bleibt Verlagen gar nichts anderes übrig, als Google über die VG Media eine Gratislizenz zu erteilen.

Aber das heißt nicht, dass die Verlage die Flinte ins Korn werfen. Sie geben die Sache nicht verloren. Sondern sie konzentrieren sich auf das Zivilverfahren. Sie führen das Verfahren mit aller Entschlossenheit und mit allen guten Argumenten. Nur lassen sie sich dieses wichtige Verfahren nicht auch noch Millionenschäden durch Googles Verkürzungsaktionen kosten.

Durfte Google die Verlage, die ihr Leistungsschutzrecht wahrnehmen, durch Verkürzung diskriminieren? Das Wettbewerbsrecht verbietet Marktbeherrschern eine solche Diskriminierung, außer wenn sie sachlich gerechtfertigt ist. Liegt hier eine sachliche Rechtfertigung vor oder nicht? Darum dreht sich die wettbewerbsrechtliche Auseinandersetzung.

Unabhängig davon, was man von der Sache hält, muss man sich eingestehen, dass die Sache strittig ist. Zu leicht machen es sich die Kommentatoren, die einfach schreiben: „Google darf doch selbst entscheiden, mit wem sie Geschäfte machen oder nicht.“ Das sind oberflächliche Alltagsweisheiten, die vergessen, dass es ein Gesetz gibt, das Marktbeherrschern Grenzen auferlegt. Man sollte einen Blick in Gesetz, Kommentare und Rechtsprechung werfen, bevor man dem Marktbeherrscher Google mit vermeintlich gesundem Menschenverstand die gleiche wettbewerbsrechtliche Bewegungsfreiheit zuspricht wie dem Gemüsehändler um die Ecke.

Zweitens: Warum hat Springer vier Titel zunächst zurück gehalten und dann nach knapp zwei Wochen doch lizenziert?

Um Beweise für den von Google verursachten Schaden zu sichern. Für die anstehenden Prozesse bestand das Risiko, dass Google erklärt, den Verlagen gar kein Übel angedroht zu haben. Aus rechtlicher Sicht gilt eine Willenserklärung nur dann als abgenötigt, wenn ein empfindliches Übel in Aussicht gestellt wurde.

Die Kanzleien, die Google vertreten, als auch Google selbst sind bekannt dafür, dass sie in Gerichtsverfahren alles Erdenkliche streitig stellen, klinge es auch noch so absurd. Nicht ohne Kalkül: Prozesstaktisch kann es durchaus klug sein, auch das Offensichtliche zu bestreiten. Dadurch gewinnt man Zeit und lenkt Richter wie Gegenseite ab. Beispielsweise weigert sich Google standhaft, seine marktbeherrschende Stellung anzuerkennen, obwohl sie evident ist.

Es stand somit zu befürchten, dass Google vor Gericht behaupten würde, eine Verkürzung der Snippets und die vollständige Streichung der Fotos hätten Traffic und Umsatz gar nicht beeinflusst. Diese Behauptung ist nun sehr schwer geworden, da zwei Wochen Verkürzungstest bei Welt, Computerbild, Autobild und Sportbild klar gezeigt haben, wie groß die Rückgänge sind und wie groß der dadurch verursachte Schaden ist. Die Serverprotokolle sprechen eine klare Sprache. Wir werden sehen, wie Google im Verfahren damit umgeht. Vielleicht schaltet man noch eine Absurditätsstufe höher und behauptet, der Traffic von Google News sei um mehr als 80 Prozent zurück gegangen, weil wir zufälligerweise in dieser Zeit schlechtere Überschriften und langweiligere Themen veröffentlicht haben.

Warum spielt der Schaden juristisch überhaupt eine Rolle? Weil ohne Androhung eines empfindlichen Übels keine Nötigung vorliegt, und weil es ohne Nötigung keine unfreiwillige Gratislizenz geben kann. Ohne Unfreiwilligkeit aber dürfte es keine Gratislizenz der Verlage geben, denn damit widersprächen sich die Verlage selbst. Schließlich wollen sie Geld für ihre Leistungen sehen.

Ist Springer umgefallen? Hat Springer Rückgrat und Kampfeslust verloren? Nein. Springer hat die Beweise gesammelt, die nötig sind, um mit voller Kraft den Prozess um das Leistungsschutzrecht zu führen, und hat nur deswegen die Gratislizenz erteilt. Mehr Beweise brauchte es nicht. Es wäre nicht sinnvoll gewesen, weiteren Schaden hinzunehmen, da das Zivilverfahren sowieso schon läuft und es weiterer Beweise nicht bedurfte.

Übrigens es ist seltsam, wie genüsslich manche Kommentatoren in der vergangenen Woche das Zerrbild der vermeintlich umfallenden Springer-Leute gemalt haben, statt einmal danach zu fragen, wie wacker sich ihre eigenen Verlage eigentlich bisher gegenüber Google geschlagen haben. Die „Bloß-Google-nicht-verärgern-und-bloß-keinen-Traffic-Schaden-verursachen“-Fraktion war jetzt die erste, die Springer, dem standhaftesten aller Verlage, Feigheit vorgeworfen hat. Das ist reichlich kurios.

Seltsam auch die Argumentation von Roland Pimpl in „Horizont“, dass Springer bei der Veröffentlichung der Zahlen nicht transparent gewesen sei. Natürlich bezogen sich die genannten Rückgänge nur auf den Google-Traffic. Worauf denn sonst? Auf Social oder Typed / Bookmarked? Wie sollte denn da ein Schaden durch die Verkürzung bei Google entstanden sein? Und natürlich sind die Rückgänge beim Google-Traffic durchgerechnet auf den Gesamttraffic prozentual kleiner. Das ergibt sich schon arithmetisch. Was soll aber daraus denklogisch folgen? Dass Springer eine Bestrafung von Google klaglos hinnehmen sollte, bloß weil es auch noch eine Menge Leser gibt, die direkt auf Welt und Computerbild zusteuern?

Ein abwegiger Gedanke. Um seine Unschlüssigkeit zu erkennen, stelle man sich vor, das deutsche Grosso – wie Google ein Monopol in einem bestimmten Sgement des Vertriebsmarkts – würde den STERN auslisten, nur weil der STERN sich als einziger weigert, eine höhere Handelsspanne zu akzeptieren. Wenn der STERN dann dem Monopolisten vorwirft, seine Marktmacht zur Abnötigung von Wohlverhalten einzusetzen, würde „Horizont“ wohl kaum schreiben: „Halt, Moment mal, der STERN hat doch zusätzlich noch ganz viel Auflage im Abo und Lesezirkel. Da kann er das bisschen Verlust im Einzelverkauf locker wegstecken. Warum regt er sich denn so auf?“ Jede Wette, dass ein solcher Kommentar bei „Horizont“ nie erscheinen würde. Warum? Weil allen klar ist, dass das Grosso zwar nicht für die Gesamtauflage steht, wohl aber eine Monopolstellung in einer wichtigen Vertriebssparte innehält.

Drittens: Sind die Verlage auf ganzer Linie gescheitert oder haben sie auch Teilerfolge errungen?

Sie haben schon jetzt Teilerfolge errungen. Das Patent- und Markenamt hat den Tarif – also die Preisliste – der VG Media akzeptiert und im Bundesanzeiger veröffentlicht. Damit hat der Tarif eine Art Gesetzeskraft gewonnen.

Außerdem hat Google heimlich, still und leise einen Kompromiss gemacht. In das Schreiben, mit dem Google-Justiziar Kent Walker aus Mountainview den Verlagen eine Gratislizenz abnötigen wollte, war eine juristische Finte eingebaut, die nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat.

Google hatte das Schreiben nicht an die VG Media gerichtet, sondern an die Geschäftsführer der Verlage. Warum? Weil Google aus Prinzip immer alles streitig stellt, so auch den Übergang der Leistungsschutzrechte aus den Verlagen an die VG Media.

Kent Walker verlangte den Geschäftsführern ab, eine Lizenz zu erteilen und damit zu erklären, dass sie verfügungsberechtigt über diese Rechte sind. Das aber konnten die Geschäftsführer gar nicht erklären, denn sie hatten die Rechte ja wirksam an die VG Media gegeben. Also hätten sie, um Googles Forderung zu erfüllen, die Verträge bei der VG Media kündigen müssen, oder erklären müssen, dass die Rechte dort aus irgendeinem Grund nie angekommen waren (was aber nicht der Fall ist).

Das bedeutet, dass Google mit seinem Brief versucht hat, die VG zu zerspalten. Dieser Versuch ist gescheitert. Alle in der VG Media vertretenen Verlage haben sich – jeder für sich – entschieden, die Rechte in der VG zu belassen. Sie haben die VG Media angewiesen, in ihrem Auftrag eine Gratislizenz (oder korrekt ausgedrückt: eine widerrufliche Gratiseinwilligung) zu erteilen. Diese Erklärung hat die VG Media gegenüber Google abgegeben – und Google hat sie angenommen. Damit ist jetzt klar und unstrittig, dass die VG Media die Verlage vertritt. Google kann vor Gericht nicht mehr behaupten, dass die VG Media nicht die Leistungsschutzrechte der Verlage wahrnimmt. Innerhalb weniger Wochen hat Googles Manöver dazu geführt, dass der Konzern eine seiner Prozesstaktiken aufgeben musste.

Natürlich sind die Verlage noch längst nicht am Ziel. Zwar ist die VG Media jetzt als Verhandlungspartnerin von Google akzeptiert, und es gibt einen staatlich genehmigten Tarif. Doch dieser Tarif ist in der Praxis nicht durchgesetzt – siehe Gratislizenz.

Ist es aber deswegen aller Tage Abend, wie die Häme-Fraktion in ihrem Jubel glaubt? Keineswegs. Denn jetzt beginnt die gerichtliche Auseinandersetzung. Dabei geht es darum, den Tarif durchzusetzen. Sobald er durchgesetzt ist, wird die Gratislizenz gekündigt. Sie ist täglich kündbar.

Wie hoch sind die Chancen der Verlage, den Tarif durchzusetzen? Ich weiß es nicht, und ehrlicherweise kann es niemand wissen. Klar ist nur: Alle Verwertungsgesellschaften mussten für ihre Tarife kämpfen. Freiwillig zahlt kaum jemand.

Wie das Spiel ausgeht, wissen wir erst am Ende. Außer natürlich die voreilige Netzgemeinde. Sie weiß jetzt schon, dass die Verlage verloren haben. Das ist so, als wenn man eine Schachpartie noch im Spielaufbau für entschieden erklären würde, bloß weil jemand ein Pferd auf F4 bewegt hat.

Viertens: Diskriminiert die VG Media kleinere Suchmaschinen wie 1&1 und Telekom nicht dadurch, dass sie ihnen keine Gratislizenz gibt?

Den Vogel der Fehlinterpretation hat wieder einmal der im Vogelabschießen bestens geübte Stefan Niggemeier abgeschossen. Seine steile These: Die VG Media diskriminiert die kleineren Suchmaschinen wie 1&1 und Telekom, weil sie ihnen keine Gratislizenzen einräumt.

Lieber Stefan Niggemeier, einmal kurz anrufen, eine Erläuterung einholen oder wahlweise doch mal ins Gesetz schauen. So machen es übrigens die angelsächsischen Journalisten von Wall Street Journal über New York Times bis zur Financial Times. Sie kommen bei uns (Springer oder VG Media) vorbei, nehmen sich eine Stunde Zeit und hören sich auch unsere Sicht der Dinge einmal an. Nicht so die Krautreporter, hier im erweiterten Sinne gesprochen: Der deutsche Medienjournalist recherchiert nicht, weil er alles schon weiß.

(Nachschub: Stefan Niggemeier hatte per Mail an unsere Presseabteilung nur eine Faktenfrage geschickt, ob wir den Kleinen eine Gratislizenz erteilen oder nicht. Echte Erkenntnisneugier steckte in seiner Mail nicht. Sondern es ging erkennbar nur um das Abklopfen einer vorgefassten Meinung. Wie man es halt so macht, wenn man sich seiner Meinung sicher ist. Schnell eine Faktenfrage schicken, um hinterher nicht vorgeworfen zu bekommen, man habe nicht recherchiert. Doch Pseudorecherchen sind keine echten Recherchen.)

Die VG Media kann den kleineren Suchmaschinen gar keine Gratislizenzen einräumen, denn sie ist gesetzlich dazu verpflichtet, den genehmigten Tarif durchzusetzen. Nach dem Tarif – aber nur nach ihm! – muss sie alle Marktteilnehmer gleich behandeln. Es besteht Kontrahierungspflicht.

Die Gratislizenz an Google wurde jedoch gegen den Willen der VG Media und der Verlage erteilt – wegen des missbräuchlichen Drucks des Marktbeherrschers. Sie ist das Ergebnis einer Nötigung.

Kleinere Suchmaschinen sind aber keine Marktbeherrscher. Folglich können sie Verlage und VG Media nicht nötigen. Ohne Nötigung aber darf die VG Media nur auf Basis des staatlich genehmigten Tarifs gleichbehandeln. Mithin ist eine Gratislizenz an die kleineren Suchmaschinen nicht möglich.

Niggemeiers Missverständnis hat in der Politik gleich Sorge ausgelöst. Bittet jetzt die VG Media nur die kleinen europäischen Suchmaschinen zur Kasse, während der amerikanische Riese Google ungeschoren ausgeht?

Richtig, das wäre schreiendes Unrecht, wenn es denn so wäre. Aber es ist nicht so. Niggemeiers desinformativer Medienjournalismus stiftet unnötigen Unfrieden.

Denn keineswegs lassen VG Media und Verlage Google vom Haken. Sie führen ja das angesprochene urheberrechtliche Verfahren. Gerade zu diesem Zweck haben sie die Beweise zu den Folgen der Verkürzung gesammelt.

Von einer Diskriminierung europäischer Aggregatoren kann also gar keine Rede sein. Alle werden gleich behandelt. Nur dass Google – und zwar allein Google – aufgrund seiner Marktmacht die Mittel besitzt, der VG Media eine einstweilige Gratislizenz abzupressen. Das ist aber nicht das Verschulden der VG Media, sondern das von Google.

Von Niggemeiers Behauptung bleibt also nichts übrig außer einer fahrlässig gestifteten Verwirrung.

Fünftens: Warum ist das Kartellamt nicht eingeschritten und was kann die VG Media dagegen tun?

Das Kartellamt hat Google klar gezeigt, dass eine vollständige Auslistung der Snippets nicht geht. Deswegen ist es nicht zu einem Delisting gekommen. Das ist ein Erfolg der Verlage.

Was die Verkürzung der Snippets anging, saß das Kartellamt dem Irrtum auf, dass Überschriften ganz sicher nicht unter das Leistungsschutzrecht fallen. Diese Auffassung ist zwischen den Parteien aber strittig. Insofern hat das Kartellamt den Sachstand der urheberrechtlichen Auseinandersetzung nicht ganz richtig erkannt, bevor es Google Ratschläge erteilte.

Kartellrechtlich vertritt das Amt die Auffassung, dass die Wahrnehmung des Leistungsschutzrechts einen sachlich gerechtfertigten Grund zur Diskriminierung darstellt. Verlage und VG sind gegenteiliger Auffassung.

Das deutsche Kartellamt entscheidet alleine, ob es eine Beschwerde aufgreift oder nicht. Es besteht so genanntes Aufgreifermessen. Dieses Ermessen kann gerichtlich nicht überprüft werden. Übrigens eine Besonderheit im deutschen Recht. Man bekommt vom Amt also hoheitlich mitgeteilt, ob aufgegriffen wird oder nicht, und kann diese Entscheidung von keinem Gericht überprüfen lassen.

VG Media und Verlage halten diese Entscheidung für falsch, können aber nicht gerichtlich dagegen vorgehen. Hilfsweise prüfen Verlage und VG Media nun, kartellrechtlich direkt gegen Google vorzugehen, in Ergänzung zum urheberrechtlichen Verfahren, das bereits läuft.

In keinem Artikel oder Tweet zum Fall ist mir ein Hinweis auf die Überprüfbarkeit des Ermessens des Kartellamts aufgefallen. Der eilfertige Medienjournalist hört „Das Kartellamt wird nicht tätig“ und folgert daraus: „VG Media und Verlage sind im Unrecht“.

Der journalistisch aufklärerische Impuls hingegen würde von folgender Gedankenkette ausgehen: „Staatliche Behörde wird nicht tätig – Beschwerdeführer sind anderer Meinung – Wo und wie kann eine neutrale Instanz feststellen, wer Recht hat?“ Die verbreitete Auffassung „Kartellamt spricht => das ist die Wahrheit“ ist voraufklärerisch und obrigkeitshörig. Das Kartellamt gehört zur Exekutive. Eine kritische Haltung von Kommentatoren würde Anlass zur Frage geben: „Wie überprüft die Judikative das Handeln der Exekutive?“

Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die Verlage bei einem Richter mit ihren Argumenten nicht durchkommen. Aber dann hätte es wenigstens eine unabhängige Überprüfung der Entscheidung des Kartellamts gegeben. Damit kann dann am Ende jeder leben. So aber bleibt es bei einem Alleinhandeln der Exekutive in Gestalt des Kartellamts. Dieses Alleinhandeln dann als die alleinverbindliche Wahrheit zu begreifen, lässt den kritischen Impuls vermissen, den man sich von Journalisten im Umgang mit dem Staat eigentlich wünschen würde.

Sechstens: Was ist in diesem Fall eigentlich wichtiger – Urheberrecht oder Wettbewerbsrecht?

Das ist schnell beantwortet. Der Kern des Falls spielt sich im urheberrechtlichen Verfahren ab. Da geht es darum, wie weit das Leistungsschutzrecht reicht. Dieses Verfahren hat gerade erst begonnen. Von einer endgültigen Entscheidung sind wir noch weit entfernt.

Das wettbewerbsrechtliche Verfahren ist wichtig, hat aber vor allem eine flankierende Funktion. In der wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung spielt das Leistungsschutzrecht als solches kaum eine Rolle.

Wer Tweets schickt oder Kommentare schreibt nach dem Muster: „Kartellamt lässt Leistungsschutzrecht abblitzen“ oder „Verlage scheitern mit dem Leistungsschutzrecht vor dem Kartellamt“, beweist damit nur seine Unkenntnis der Materie. Die Wettbewerbsrechtler können, wollen und dürfen sich nicht mit dem Kern des Anspruchs aus dem Leistungsschutzrecht auseinander setzen. Das ist schlicht nicht ihre Aufgabe.

Siebtens: Ist es nicht schreiendes Unrecht, ein Unternehmen wie Google, das eine Dienstleistung nicht abnehmen möchte, rechtlich dazu zwingen zu wollen?

Nein, denn niemand möchte Google dazu zwingen, eine Dienstleistung abzunehmen, die das Unternehmen nicht wünscht. Das hat – aller Missverständnisse zum Trotz – auch nie jemand von Google verlangt.

Natürlich darf Google sich frei entscheiden, ob es Snippets oder Fotos von Verlagen im Allgemeinen anzeigt oder nicht. Es geht nur um die Frage, ob es Google als Marktbeherrscher gestattet ist, speziell diejenigen Verlage durch Auslistung oder Verkürzung zu bestrafen, die ein Recht wahrnehmen, das ihnen der Deutsche Bundestag eingeräumt hat. Wie oben schon gesagt: Stellt die Wahrnehmung des Rechts einen sachlich gefertigten Grund dar oder nicht?

Es geht also gar nicht um folgende, hoch emotional diskutierte Frage: „Dürfen Unternehmen gezwungen werden, Leistungen abzunehmen, die sie nicht wünschen?“ Die Aufregung kocht hoch, obwohl die Frage gar nicht zur Debatte steht.

Stattdessen geht es um folgende Frage: „Was sind die rechtlich zulässigen sachlichen Gründe für eine Diskriminierung?“

Achtens: Führen die Spanier den Deutschen mit ihrem eigenen Leistungsschutzrecht jetzt vor, wie man es richtig macht?

Im Urheberrecht gibt es zwei grundverschiedene Möglichkeiten, wie Angebot und Nachfrage zusammen kommen können:

Entweder das Lizenzmodell: Vor dem Nutzen muss man fragen, und nutzen darf man nur, wenn man vorher eine Einigung mit dem Rechteinhaber erzielt hat.

Oder das Zwangsmodell: Man muss vorher nicht fragen, dafür muss man hinterher vergüten.

Das Leistungsschutzrecht für Presseverlage ist nach dem ersten Modell konstruiert. Wir als Verlage haben das damals so befürwortet, weil es eigentlich das liberalere, marktwirtschaftlichere Modell ist. Auch in diesem Blog habe ich oft betont, dass es sich um das mildeste zur Verfügung stehende Mittel handelt. Allerdings war schon immer klar, dass es auf asymmetrischen Märkten (viele schwache Anbieter, ein starker Nachfrager) an seine Grenzen stoßen kann. Trotzdem haben wir dieses mildere Mittel vorgeschlagen, weil es sich in einer freien Marktwirtschaft aus unserer Sicht gehört, erst einmal die freiheitliche Variante auszuprobieren.

Das Zwangsmodell gibt es in Deutschland an vielen Stellen. Zum Beispiel bei der Speichergeräteabgabe. Wer ein Computerlaufwerk kauft, zahlt ohne es zu merken, aber auch ohne etwas dagegen tun zu können, eine Abgabe mit, die an die Rechteinhaber kreativer Werke und Leistungen fließt, auch wenn er nie einen Song oder Film auf diesem Laufwerk speichert. Solche Zwangsmodelle schaffen Klarheit und Geschwindigkeit auf den Märkten. Sie lösen komplizierte Genehmigungs- und Verhandlungsprozesse ab. Deswegen sind sie besonders gut auf asymmetrischen Märkten und bei Massengeschäften geeignet.

Spanien hat sich jetzt für ein Zwangsmodell entschieden, also für die harte Variante. Sicherlich auch, weil die Spanier gesehen haben, wie hartnäckig Google sich weigert zu zahlen. Also haben sie das mildere Mittel in Deutschland für ausreichend getestet gehalten und haben gleich einen Gang höher geschaltet.

Persönlich habe ich dafür viel Sympathie. Ich kann die Frustration über Google verstehen. Vielleicht wird das spanische Modell ja auch Vorlage für das europäische Leistungsschutzrecht, das der neue Digital-Kommissar Oettinger angekündigt hat. Wenn es so etwas gäbe, würde es uns die Arbeit in Deutschland erleichtern.

Aber das heißt noch lange nicht, dass wir dahin die Segel streichen und den Versuch aufgeben, das mildere deutsche Lizenzmodell durchzusetzen. Für die Marktwirtschaft wäre es gut, wenn die mildere Variante obsiegte. Und auch Google müsste eigentlich ein Interesse daran haben. Eine europaweite Zwangsgebühr müsste aus Sicht von Mountainview eigentlich schlechter sein als ein freiwilliger Vertrag mit der VG Media. Aber das muss Google entscheiden. Wir machen auf jeden Fall auf unserem Weg weiter.

Neuntens: Bereuen wir den Tag, an dem wir uns das Leistungsschutzrecht ausgedacht haben?

Nein. Ich habe zwar schon an populäreren Projekten gearbeitet. Aber die Digitalökonomie braucht Regeln, die zur Digitalökonomie passen. Weil im Netz digitale Güter gehandelt werden und Netzwerkmonopole der Regelfall sind (siehe dazu die ausführliche Darstellung in meinem Buch), sind Urheberrecht und Kartellrecht die wichtigsten Rechtsgebiete der Digitalisierung. Daran mitzuarbeiten, ist kein Grund zu Scham oder Reue.

Das deutsche Leistungsschutzrecht ist vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss. Es ist ein erster Schritt. Ohne das deutsche Leistungsschutzrecht gäbe es das Gesetz in Spanien sicher nicht, Israel würde nicht darüber beraten und auch die EU-Kommission würde es sich nicht vornehmen. Wir haben eine Diskussion angestoßen und haben immer noch eine reale Chance, damit Geld zu verdienen und Journalismus zu finanzieren. Das ist aller Mühen und Ehren wert.

Zehntens: Wie geht der Fall jetzt eigentlich weiter?

Wer sich für den Fortgang des Falls interessiert, sollte als nächsten Termin die Verhandlung der Schiedsstelle am Patent- und Markenamt ins Visier nehmen. Danach folgen die diversen Instanzen der Zivilgerichte. Hinzu tritt vielleicht ein kartellrechtliches Verfahren, um die Frage zu klären, die ich oben angelegentlich des Kartellamts beschrieben hatte.

Wann gibt es endgültige Klarheit? In vielen Jahren. Herrscht bis dahin gefährliche Rechtsunsicherheit? Nicht mehr und nicht weniger als in jedem anderen Verfahren zur Durchsetzung eines VG-Tarifs. Wer keine Rechtsunsicherheit eingehen möchte, schließt einfach einen Lizenzvertrag mit der VG Media ab. Das geht schnell und schafft sofortige Sicherheit.

Nachtrag 10. November 2014, 12:20: Ich habe einige kurze, sinnerhaltende juristische Präzisierungen in diesem Text vorgenommen: Es heißt jetzt nur noch, dass die Judikative Gesetze ausurteilt. Die ergänzende Formulierung „wendet diese Normen auf Einzelfälle an“ war etwas unpräzise. Beim Thema Nötigung habe ich präzisiert, dass ohne die „Androhung eines empfindlichen Übels“ keine Nötigung vorliegt. Bei der Entscheidungsfreiheit Googles zu Snippet habe ich zur Klarstellung eingefügt, dass sich Google im „Allgemeinen“ für oder gegen Snippets entscheiden kann, um den Unterschied zur Diskrimierung „spezieller“ Verlage deutlicher hervorzuheben.



 

13 Kommentare

 
  1. (Pingback)

    [...] confessed to lose too much data traffic from Google to finally capitulated and argued, this only of Google proved crushing market power. The publishers made themselves, their industry and their country successfully [...]

    Jeff Jarvis: Eurotechnopanik | News Round

    26. November 2014

     
  2. (Pingback)

    [...] Die Gründe erläutert Christoph Keese in seinem Blog. Demnach handelt es sich bei der Gratiseinwilligung nicht um eine marktverzerrende Bevorzugung eines eh schon großen Konzerns, sondern um die Folgen einer bösartigen Erpressung seitens Googles: Würden Verlage frei entscheiden, würden sie Google natürlich keine Gratislizenz erteilen. Doch sie können nicht frei entscheiden. Google presst ihnen durch Androhung eines empfindlichen Übels eine Gratislizenz ab. Der in Aussicht gestellte Schaden ist so groß, dass man ihn als verantwortungsbewusster Geschäftsführer nicht hinnehmen kann. Also bleibt Verlagen gar nichts anderes übrig, als Google über die VG Media eine Gratislizenz zu erteilen. [...]

    Keine Antwort | Schmalenstroer.net

    16. November 2014

     
  3. (Pingback)

    [...] 10. November: VG Media gibt nicht auf und versucht nun das ganze vor Gericht zu ziehen. Aus dem offiziellen Bericht gefällt mir außerdem folgendes Zitat sehr gut: “Den Vogel der Fehlinterpretation hat wieder [...]

    Beiß in die Hand, die dich füttert - Karim Geiger

    10. November 2014

     
  4. (Pingback)

    [...] es den Verlagen abgenötigt hatte, die Anrisstexte und Vorschaubilder gratis nutzen zu können. Wenn Herr Keese hier von Nötigung spricht, ist das eine schwere Anschuldigung. Es heißt in einer Veröffentlichung, dass Google wohl die [...]

    Das Leistungsschutzrecht und viel Unsinn

    10. November 2014