Jakob Augstein, Herausgeber des „Freitag“, hat auf seiner Seite über die Klage gegen die Tagesschau-App und über die Verleger-Initiative für ein Leistungsschutzrecht geschrieben. Titel: „Das Panik-Orchester. Die Zeitungsverlage kämpfen gegen Blogger und öffentlich-rechtliche TV-Sender. Es geht ihnen um die Privatisierung des Internets.“ Augstein schreibt schwungvoll und gut, allerdings im Laufe eines Monats über viele unterschiedliche Themen und offenbar unter Zeitdruck. Ihm bleibt wenig Zeit für Recherche. Deswegen haben sich zahlreiche Sach- und Fachfehler in seinen Beitrag eingeschlichen. Hier eine Auswahl:
- Die Zeitungsverlage kämpfen nicht gegen Blogger. Sie haben dem Gesetzgeber offiziell vorgeschlagen, dass das Leistungsschutzrecht auch für Blogger gelten solle. Weil Blogger oft Autor und Verlag in in einer Person sind, wären sie als Autor durch das Urheberrecht und als Verlag durch das Leistungsschutzrecht geschützt, falls der Gesetzgeber diesem Vorschlag folgt.
- Die Zeitungsverlage streben nicht die Privatisierung des Internets an. Es ist zu großen Teilen bereits privatisiert, allerdings gehört es nicht den Verlagen.
- Die Axel Springer AG oder Mathias Döpfner verbreiten keine „Untergangsstimmung“, und schon gar nicht aus „strategischen Gründen“. Wir weisen darauf lediglich hin, dass auf absehbare Zeit weder im AppStore, noch auf dem Android Market, noch auf anderen Plattformen, noch im browserbasierten Web Geld mit Nachrichtenjournalismus zu verdienen sein wird, so lange ARD und ZDF dort massenhaft Texte veröffentlichen, die eigens für diesen Zweck produziert und mit Rundfunkgebühren finanziert werden. Detaillierte Argumente und Fakten nachzulesen in diesem Blog unter „Warum Verlage gegen die ARD klagen“ und „Die Tagesschau als elektronische Zeitung“. Der „Freitag“ hat selbst keine App im AppStore. Er erlebt also nicht am eigenen Beispiel, wie die Tagesschau seit ihrem Erscheinen vor einem halben Jahr den Markt verzerrt. Vielleicht könnte eine erste verlegerische Maßnahme für den „Freitag“ darin bestehen, den AppStore mit eigenen Produkten aus der Nähe kennenzulernen.
- Augstein schreibt: „Es geht aber nicht um das Überleben der Verlage. Es geht um die Vorherrschaft im Internet. Um die Frage, ob das Netz öffentlich bleibt oder privatisiert wird.“ Das Netz ist heute nicht mehr in öffentlicher Hand. Das war es einmal vor Jahrzehnten, als Infrastruktur und Leitungen vor allem dem Militär und den Universitäten gehörten. Heute gehört das Netz größtenteils privaten Unternehmen wie Telekommunikationsfirmen, Seekabel- und Satelliteneigentümern, Serverfarmen, Hosting- und Cloudbetreibern, Aggregatoren oder Patentinhabern zentraler Technologien. Sie verdienen Milliarden am Netz. Trotz der weitgehend privaten Eigentümerschaft steht das Netz der Öffentlichkeit gegen Zahlung zur Verfügung. Kein Teilnehmer kommt heute mehr umsonst ins Netz. Jede Shoppingmall auf der grünen Wiese ist preiswerter zu betreten als das Internet. In der Mall kann man flanieren, ohne etwas zu kaufen. Das Internet hingegen betritt niemand ohne Geld. Computer anschalten – und schon läuft der Zähler. Wer von der Universität oder der Firma aus surft, verursacht ebenfalls Kosten, auch wenn er sie nicht selber bezahlt. Dass wir vom Bezahlen kaum noch etwas bemerken, liegt an den psychologisch geschickt konstruierten Flatrates. Sie gaukeln uns Kostenlosigkeit vor, während das Geld per Dauerauftrag vom Konto verschwindet. Zu den Wenigen, die im Internet fast nichts verdienen, gehören Journalisten und Verlage. Sie pumpen das Netz mit kreativen Schöpfungen voll, während andere die Eintrittskarten verkaufen können. Gleichzeitig verteidigen sie das freie, offene, basisdemokratische Netz, das es in seiner non-kommerziellen Fassung schon lange nicht mehr gibt.
- Augstein zitiert mich als „Döpfners Sekundant im Kampf ums Netz“: „Gedruckte Zeitungen und Zeitschriften machen in Deutschland rund 12 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Die Webseiten dieser Verlage bringen es in der Summe auf weniger als 250 Millionen Euro.“ Augstein weiter: „Dass die Verlage im Netz alle darben, stimmt darum nicht.“ Er verwechselt Umsatz mit Ergebnis. 250 Millionen sind nicht der Gewinn, sondern lediglich der Umsatz. Die Kosten der Verlage für ihre journalistischen Angebote liegen weitaus höher. Verlage schreiben hohe Verluste mit ihren Webseiten. Augstein erkennt das wenig später in seinem Text auch an: „Alle anderen zahlen freilich drauf. Für sie ist das Netz keine Erlösquelle, aber ein unverzichtbares Instrument für Marketing und Leserbindung geworden. Und Werbung kostet nun mal.“ Unverzichtbares Instrument für Marketing und Leserbindung? Werbung? Vor zehn Jahren haben viele Verlage geglaubt, dass man Webangebote finanzieren könnte durch die Abonnements, die man dort verkauft. Diese Hoffnung ist selten aufgegangen. Das Internet hat sich für Verlage nicht als Werbemaschine für Offline-Produkte bewährt. Es ist ein eigenständiges Medium. Journalisten und Verlage können nicht damit zufrieden sein, dass ihr Hauptgeschäft in diesem neuen Medium nichts abwirft. Quersubvention und Mäzenatentum können nicht die alleinige Antwort bleiben.
- Augstein: „Es geht den Verlagen nicht ums Überleben, sondern um ihre Vormacht. Sie kämpfen an zwei Fronten: nach oben gegen die großen Institutionen der öffentlich-rechtlichen Sender und nach unten gegen die Blogger und Netz-Aggregatoren.“ Wenige Sätze zuvor hatte Augstein eingeräumt, dass die meisten Verlage im Netz Geld verlieren und hatte dafür geworben, dass sie den Verlust als Werbung abschreiben. Jetzt wirft er den Verlustschreibern vor, dass es ihnen in Wahrheit um Vormacht statt um Überleben gehe. Beides kann nicht gleichzeitig wahr sein. Wer Verlust schreibt, kann nicht nach der Vormacht greifen.
- Augstein: „Mit immer neuen Rundfunkänderungsstaatsverträgen – die nicht nur als Begriff wie eine Keule wirken – wurde den Sendern in den vergangenen Jahren das Leben im Netz schwer gemacht.“ Falsch. Ein einziger Rundfunkänderungsstaatsvertrag – der zwölfte – hat ARD und ZDF mit dem Verbot der Presseähnlichkeit eine kleine Grenze auferlegt, ihnen ansonsten aber einen umfassenden Auftrag zur Expansion im Netz erteilt. Diese Reform war überfällig, da ARD und ZDF ihre Internetangebote zuvor ohne belastbare gesetzliche Grundlage betrieben hatten. Dieser Rundfunkänderungsstaatsvertrag war also vor allem aus Sicht der Öffentlich-Rechtlichen dringend nötig und keineswegs eine Erfindung der Verlage. Auf immer neue Rundfunkänderungsstaatsverträge wirken die Verlage ebenfalls nicht hin. Schon deswegen nicht, weil sie thematisch wenig bis gar nichts mit ihnen zu tun haben. Im jüngsten Staatsvertrag geht es beispielsweise um die neue Haushaltsabgabe, die die alte Rundfunkgebühr ablöst. Jeder Haushalt zahlt, ganz gleich, ob er einen Fernseher besitzt, ihn benutzt oder die öffentlichen Sender anschaut. Auf Verlagsinteressen geht dieser Staatsvertrag nicht ein.
- Augstein: „Neue bürokratische Monster wurden geschaffen, wie der Dreistufentest, mit dem sich jedes Netzangebot der Sender einer komplizierten Rechtfertigung unterziehen muss.“ Gefordert hat den Dreistufentest kein Verlag, sondern die Europäische Kommission im Rahmen des Beihilfeverfahrens. Die Verlage haben den Dreistufentest in der konkreten Ausgestaltung des deutschen Gesetzgebers von Anfang an als unwirksame Farce kritisiert. Genau als solcher hat er sich in der Praxis erwiesen.
- Augstein: „Mit der Knute des Leistungsschutzrechts sollen die anderen Verlagsfeinde gezüchtigt werden: Blogger und Aggregatoren. SZ und FAZ führen einen ermüdenden Gerichtskrieg gegen den Perlentaucher, eine der ganz wenigen Medienmarken, die aus dem Netz hervorgegangen sind.“ Doppelt falsch. Blogger werden nach dem Vorschlag der Verlage ebenfalls vom Leistungsschutzrecht geschützt. SZ und FAZ führen ihre Klage gegen den Perlentaucher nicht auf Basis des Leistungsschutzrechts, das ist ja noch nicht gibt.
- Augstein: „Das Urheberrecht ist in seinen Weiterung kompliziert, in seinem Kern aber einfach: Es liegt beim Urheber. Und das ist der Autor. Nicht der Verlag.“ Richtig: Das Urheberrecht liegt beim Urheber. Falsch: Die Verlage beanspruchen das Urheberrecht nicht. Ein Leistungsschutzrecht ist kein Urheberrecht. Der Schutzgegenstand ist ein anderer. Urheberrecht und Leistungsschutzrecht stehen in anderen kreativen Branchen wie Film oder Musik konfliktfrei nebeneinander. Madonna ist, wenn sie „American Pie“ singt, als Interpretin Leistungsschutzberechtigte, Joe Cocker mit „With a little help from my friends“ ebenso. Das Urheberrecht liegt bei den jeweiligen Text- und Tondichtern. Genauso werden sich Urheberrecht und Leistungsschutzrecht bei der Presse im Interesse aller Beteiligten problemlos ergänzen.
- Augstein: „Wenn das Netz ein Supermarkt ist, dann zwingt niemand die Verlage, die Regale zu füllen. Man muss seine Texte nicht ins Netz stellen, man kann sie hinter Paywalls verstecken und man kann seine Inhalte für die Google-Suche sperren lassen. Wenn man aber Inhalte kostenlos ins Netz stellt und sie für Google öffnet, ist es absurd, Geld dafür zu verlangen.“ Augsteins Zuspitzung geht an der Sache vorbei. Eigentümer haben das Recht, ihr Eigentum unterschiedlichen Gruppen zu unterschiedlichen Konditionen anzubieten. Bislang unterscheiden die meisten Verlage nicht zwischen privaten und gewerblichen Nutzern im Internet. In Zukunft werden sie das verstärkt tun. Viele werden gewerblichen Nutzern Lizenzzahlungen abverlangen. Das nimmt ihnen nicht das Recht, privaten Nutzern werbefinanzierte Angebote zu liefern. So ist das in allen anderen Medienbranchen auch. Wer privat einen privaten Radiosender hört, tut das kostenlos. Finanziert wird das durch Werbung. Wer genau den selben Radiosender in seiner Anwaltspraxis oder im Handelsraum einer Bank laufen lässt, muss dafür an die Gema bezahlen. Wer einen Fernsehsender zu Hause privat anschaut, empfängt ihn kostenlos. Wer ihn in seinem Fitnessstudio über dem Laufband laufen lässt oder in seinem Hotel ins hausinterne Kabelnetz einspeist, entrichtet eine Lizenzgebühr für die gewerbliche Nutzung. Wer eine DVD kauft, spielt sie zu Hause ohne weitere Gebühren ab, wer sie aber in einem Kino oder einer Kneipe an die Wand wirft, muss Lizenzen entrichten. Das Prinzip ist so einfach wie fair: Wer Geld mit den kreativen Leistungen anderer Leute verdient, kann diese nicht kostenlos in Anspruch nehmen. Die Presse vollzieht diesen Schritt nun nach, und das einzige, was man ihr vorwerfen kann, ist, dass sie damit Jahrzehnte später kommt als alle anderen Medienbranchen.
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Tagesschau-App gefährdet das private Verlagswesen?
1. August 2011
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Ähm … Obiges betrifft den Klick auf den Namen des Kommentators in der Seitenleiste. Der führt auf die Seite des Kommentators und nicht zu seinem Kommentar, hier, auf “presseschauder”.
EJ
Zur Technik: Dass man von den Links, rechts, unter “Jüngste Kommentare”, nicht z.B. hierher kommt, unter den kommentierten (und zu lesenden und evtl. zu kommentierenden) Artikel, sondern gleich “nach draußen”, z.B. auf Stefan Niggemeiers Blog, dürfte nicht im Sinne des Blogbetreibers sein. Oder will der Blogbetreiber sagen, man könne sich das Studium seiner Elaborate ersparen und solle doch lieber gleich zu seinen Kritikern wechseln? Hm … womöglich ein beherzigensweter Rat!
[...] Christoph Keese, Außenminister der Axel Springer AG. „Wir kämpfen um unsere Existenzgrundlage.” [...]
Die Tagesschau-App und die Pfeife der Verlage « Stefan Niggemeier
5. Juli 2011
[...] den Originalbeitrag weiterlesen: Schwarzer Freitag | der presseschauder Teile und hab Spaß Mit Klick auf diese Icons kann man diese Webseite mit anderen Social [...]
Schwarzer Freitag | der presseschauder
3. Juli 2011